Unorganisiertes Verbrechen.

Ich sitze beim Frühstück auf der Terrasse. Es ist fast zu feucht und zu kühl an diesem Morgen, um hier draußen zu sitzen, und unter den Bäumen hinter dem Whirlpool-Pavillon hängt immer noch der Dunst. Jetzt, denke ich, während ich mir Lachsbutter auf den Toast streiche, wo ich meine Begleiterin für die Nacht verabschiedet und meinen Magen überredet habe, etwas Nahrhaftes zu akzeptieren, wird es langsam Zeit für die Geschäfte.
Was für Geschäfte? Nun, was auch immer in dieser Stadt Geld bringt und nicht allzu legal ist. Es gibt hier zwar kein organisiertes Verbrechen – und das wird es auch nicht geben, solange ich in dieser Sache etwas zu sagen habe –, aber im unorganisierten Verbrechen ziehe ich die Fäden. Oder knüpfe sie ... wie man es sehen möchte.

Ich bitte meine Leute herein und sage ihnen, sie sollen sich setzen und eine Tasse Kaffee nehmen. Tilo Schmitz tut es, Olli nicht. Olli bleibt, ohne Kaffee und an die Terrassenmauer gelehnt, stehen, wie jeden Morgen. Er scheint zu glauben, dass es respektlos wäre, sich zum Chef an den Tisch zu setzen. Tilo Schmitz hat diese Skrupel nicht.
Olli ist mein Mann für die direkte Aktion, er hält die Verbindung zu den Leuten auf der Straße, ist absolut zuverlässig und ein herzensguter Mensch, wenn er auch dazu neigt, Streitfälle mit dem Hammer zu schlichten. Tilo Schmitz dagegen ist meine rechte Hand in allen geschäftlichen Dingen, ein ehemaliger Banker, der die Branche gewechselt hat, weil es ihm in seinem alten Job zu unehrlich zuging.
Ich nehme einen Schluck Kaffee, während Tilo Schmitz sich bei der Sahne bedient. „Und was liegt heute so an?“ will ich wissen.
„Tja“, sagt Olli und zieht seinen Notizblock aus der Tasche. „Also, ich denke, wir müssen langsam etwas wegen Harry Weber unternehmen.“
„Was hat der Schöne Harry sich denn jetzt wieder geleistet?“ frage ich, aber eher uninteressiert.
„Also, von der Sache mit der Brotdose wissen Sie ja, Chef, und er schickt seine Mädchen immer noch in Lokale, für die sie gar keine Lizenz haben, und was er mit Baumann hat machen lassen, war auch nicht in Ordnung, finde ich, obwohl es so aussieht, als wenn der doch noch in diesem Jahr aus dem Krankenhaus kommt. Aber jetzt hat er Zschockes Laden hochjagen lassen, und ein sechs Meter tiefer Krater direkt neben der Polizeigarage macht die wirklich nervös, und das ist nicht gut für die Geschäfte.“ Olli sieht mich auffordernd an.
„Was erwartest du von einem Mann, der nach Haarspray riecht?“ fragt Tilo Schmitz trocken.
„Ja“, sage ich, „und das ist noch nicht einmal das schlimmste: Er trägt Morgenmäntel mit goldenen Paspeln.“
Tilo Schmitz zuckt zusammen. „So weit geht doch nicht einmal der Schöne Harry, oder?“
„Doch, das weiß ich aus sicherer Quelle“, erkläre ich. „Also gut, es wird Zeit für einen Denkzettel. Olli, wenn er am nächsten Wochenende mit seinen Mädels nach Ibiza fliegt, räumt ihr ihm die Bude um. Ich will das volle Programm: Stellt nicht nur die Möbel um, er braucht auch neue Tapeten, und reißt den Teppichboden raus und möbelt das Parkett wieder auf. Der Schöne Harry soll eine Lektion bekommen, wie eine geschmackvolle Einrichtung auszusehen hat.“
Olli nickt und macht sich eine Notiz auf seinem berühmten Block. Man sollte denken, dass es zu gefährlich wäre, alle diese Dinge aufzuschreiben, aber wer das meint, kennt Ollis Handschrift nicht. Die Polizei hat mal eine von seinen Notizen ergattert, aber selbst die Dechiffrierexperten vom Bundeskriminalamt sind daran verzweifelt.
Tilo Schmitz sieht mich an. „Übrigens, da wir gerade von lästigen Leuten sprechen: Diese Journalistin könnte uns Ärger machen. Sie hat etwas aufgedeckt, das Sie mit dieser Spendengeschichte in Verbindung bringt – Sie wissen schon, das Rohrdommel-Projekt.“
„Ach, verdammt“, sage ich. „Da baut man sich über Jahre hinweg einen makellosen schlechten Ruf auf, und dann ist man einmal unvorsichtig, und schon wird man mit einer Spende für einen guten Zweck in Verbindung gebracht. Kannst du nicht irgendwas unternehmen, um die Sache zu verschleiern?“
„Ich fürchte nicht“, sagt Tilo. „Aber immerhin geht es bei dem Naturschutz-Projekt, für das Sie die halbe Million locker gemacht haben, um Schutz und Renaturierung eines Moores. Wenn es ganz hart kommt, können wir das Gerücht ausstreuen, wir wären daran interessiert, weil wir da unsere Leichen verschwinden lassen...“
„Das ist kindisch“, sage ich und tunke einen Löffelbisquit in meinen Kaffee. „Aber gut. Was liegt noch an?“
Olli blättert um. „Heute kommt die nächste Lieferung von dem chinesischen gefälschten Champagner“, sagt er.
„Oh, fein“, meine ich sarkastisch. „Aber diesmal überprüft ihr bitte die ganze Ladung, und bitte auch auf so Kleinigkeiten wie die Farbe, und geht nicht einfach davon aus, dass die Flaschen grün sind. Davon abgesehen: Wie kommt das Zeug bei den Gästen an?“
„Sehr gut“, sagt Tilo. „Offensichtlich schmeckt es genau wie das französische Original.“
„Was daran liegen könnte, dass inzwischen auch die Franzosen in China synthetisieren lassen“, meine ich ironisch.
„Und was machen wir mit den zwölf Kisten mit dem grünen Zeug?“ fragt er.
„Kinder, seid doch mal etwas kreativ. Kippt Waldmeisteraroma dazu und verkauft es als Maibowle.“
„Das ist eine Idee“, meint Tilo. „Übrigens, gestern ist die Sommerkollektion der Designerdrogen gekommen. Möchten Sie sie sehen?“
Das möchte ich. Er packt eine Dose aus, mit vielen kleinen Fächern voller bunter Pillen.
„Sind das die neuen Modefarben?“ frage ich. „Hellblau und Bananengelb? Tilo, stell eine Kollektion zusammen und gib die Bestellung auf, du weißt am besten, was bei den Kunden ankommt.“ Ich sehe mir die Warenproben noch einmal an. „Kariert, gestreift und gepunktet“, sage ich. „Und bunt. Naja, solange es meine Lieblingssorte noch in schwarz gibt...“
„Gibt es“, bestätigt er. „Oder in Totenkopfform.“ Er zeigt auf das entsprechende Fach.
„Verschone mich damit“, sage ich und schüttle den Kopf.
„Oh, es geht noch schlimmer“, sagt er trocken und weist auf eine andere Probe. Ich sehe genauer hin ... quietschbunt, und die Form... „Die Wibbel-Maus?“ frage ich entgeistert.
„Ist wohl für die jüngere Kundschaft. Aber was hältst du hiervon?“
„Pillen in gold? Sieht wirklich edel aus.“
„Die sind mit echtem Blattgold überzogen. Ich dachte mir, das wäre etwas für besondere Clubabende in den exklusiven Läden: Man könnte ein Paketangebot machen mit einem Glas Sekt und zwei von den goldenen, ‘um den Abend stilvoll zu beginnen’. Und wir sollten unbedingt auch das Kokain in Mikro-Konfetti-Form nehmen. Das ist dermaßen beliebt, die haben schon Lieferschwierigkeiten.“
„Setz es auf die Liste“, entscheide ich, „und sage mir morgen, wie viel Geld du brauchst. Olli, was liegt noch an?“
Olli blättert um. „Die Kowalski-Brüder haben die Vorbereitungen für den Bankraub abgeschlossen, die Sache steigt morgen oder übermorgen.“
„Wird auch Zeit“, grummle ich. „Die Saison für Gartenmöbel ist schon fast vorbei.“
Olli blättert um. „Artischocken, Frühkartoffeln und Bio-Reis...“
„Machen wir auch damit Geschäfte?“ frage ich verblüfft.
„Äh, nein, also ... das sind Besorgungen für meine Mutter, ich weiß auch nicht, wie mir die dazwischen geraten sind...“
„Oh, da fällt mir ein“, unterbricht Tilo, „Nicks, Ihre Mutter hat heute morgen angerufen. Sie sagte etwas von einer Käferplage, und dass sie sich wohl nach einem Kammerjäger umsehen muss. War das Code?“
„Ja, natürlich war das Code“, sage ich. „Käferplage? Das heißt, jemand hat Schulden bei ihr und will sie nicht bezahlen... Ach, verdammt: Sie ist ja wirklich gut darin, die nette, harmlose, wohlhabende alte Dame zu spielen und kommt damit in jede Pokerrunde, aber wenn es dann darum geht, die Spielschulden einzutreiben, kommt sie alleine nicht weiter. Wie oft habe ich ihr schon gesagt, sie soll die Leute nicht auf Kredit spielen lassen! Also gut. Wo treibt sie sich überhaupt rum?“
„Mallorca, sagte sie.“
„Gut. Olli, treib zwei Leute auf, die Spanisch sprechen, ich gebe dir im Laufe des Tages ihre Adresse. Liegt sonst noch etwas an?“
Beide verneinen, und dann brechen sie auf, um meinen Geschäften nachzugehen, und ich schnappe mir das Telefon und wähle die Nummer meiner Mutter.

© P. Warmann