Im Reisebüro.

Ich betrat das Reisebüro etwas unentschlossen.
„Guten Morgen“, sprach ich die freundliche Frau hinter dem Tisch an. „Wir haben dieses Jahr unseren zehnten Hochzeitstag, und ich möchte meine Frau mit einer Reise überraschen. Können Sie mir etwas empfehlen?“
„Da habe ich etwas ganz Besonderes“, meinte sie und reichte mir einen Katalog.
‘Exklusive Strandhotels für Verheiratete’, las ich. Ich blätterte. Sehr schöne Hotels an allen Stränden dieser Welt. Jedes Hotel war bewertet – es gab Sterne für das Hotel, für Strand & Sport und für Haie.
„Haie?“ fragte ich.
„Ja“, meinte sie. „Sie sagten doch, Sie wären langjährig verheiratet und es sollte ein Geschenk für Ihre Frau sein...“
„Oh, ich verstehe. Nein, wir sind glücklich miteinander, und wir wollten gemeinsam verreisen. Ich hatte auch nicht an einen Strandurlaub gedacht, mehr an etwas Kulturelles oder in der Natur. Und es sollte etwas Außergewöhnliches sein.“
„Ah, da kann ich Ihnen dies empfehlen.“ Sie reichte mir einen dicken Katalog. „Gleich am Anfang finden Sie die Kurzbeschreibungen.“
„‘Kultur und Natur für Menschen mit besonderen Interessen’ “, las ich laut. „Klingt nicht schlecht. Was haben wir hier? ‘Dreiwöchige Reise zu den Käsen der Schweiz. Besuch aller wichtiger Käsereien (mit Probiermöglichkeit)! Zweimal wöchentlich Fondue! Jeden Abend große Käseplatte!’. Nein, eher nicht. ‘Die großen Börsen der Welt – New York, Frankfurt, Tokio...’ – du liebe Güte. ‘Exkursion zu den Blut saugenden Insekten des Amazonasbeckens’? Interessant, ist aber wohl etwas anstrengend. ‘Das Containerschiff in der Malerei Südamerikas’, nein. Und das hier: ‘Leben und arbeiten Sie wie jeder andere Beschäftigte im größten Stahlwerk von Nanking! Nur 685 Euro pro Woche (plus Anreisekosten). Unterkunft im 60-Betten-Schlafsaal und zwei Mahlzeiten pro Tag (Reis und kleine Fische).’ Wird das wirklich gebucht?“
„Oh ja, die Reise ist besonders beliebt bei jüngeren Oberstudienräten und Sozialpädagogen“, bestätigte sie.
Ich suchte weiter. „‘Auch Sie können fliegen! In einem tibetanischen Kloster unterrichtet Sie Lama Dschordsche Ling im Schweben und bringt Ihnen bei, wie man durch Wände geht.’ Dafür muss man nicht nach Tibet reisen, das bietet auch die Volkshochschule an. Oh, das klingt gut: ‘Mit den Wölfen heulen – lernen Sie die Sprachen der Tiere in der Wildnis. Mit den Wölfen im Rudel, unter Löwen das Brüllen lernen und bei den Affen das Kreischen. Zum Abschluss fünf Tage Walgesang-Training vor der Küste Kaliforniens.’ Was haben wir noch? ‘Kirchendachstühle in Portugal’, wer tut sich das an? Halt, das ist interessant: ‘Eine Reise zum Ursprung der Träume. Besuchen Sie die Heimat der wichtigsten psychoaktiven Substanzen der Welt. Probieren Sie Koka in Kolumbien, Peyote in Mexiko und Pilze auf Bali. Vergleichen Sie das traditionelle Haschisch in Pakistan mit dem jamaikanischen Marihuana, das chinesische Opium mit dem aus Laos. Eine Reise für Kenner und Genießer.’ Wunderbar.“
Ich gab der Dame den Katalog zurück. „Die Reise buche ich für uns.“

© P. Warmann