Ich saß ganz friedlich im Wohnzimmer und las Zeitung, als meine
Frau hereinkam. Sie war einkaufen gewesen und hielt etwas hoch, etwas
Kleines und Buntes.
Sieh mal, was ich in einem dieser Hier kostet alles nur 99
Cent-Läden gefunden habe, sagte sie. Ein echter
Flaschengeist. Sie reichte mir das Dings.
Es war ein Plastikfläschchen, verziert mit einem bonbonfarbenen extrakitschigen
pseudo-orientalischen Muster. Ich las das Etikett. Echter Flaschengeist!
stand darauf. In der virtuellen Flasche! Drei Wünsche frei!
In Handarbeit beschworen!
Ich sah meine Frau zweifelnd an. Ein Flaschengeist für 99 Cent?
Was solls, meinte sie. Das ist der Spaß
auf jeden Fall wert. Komm, zieh den Korken.
Das tat ich. Es machte plopp, die Flasche löste sich in Rauch
auf, und aus dem Rauch materialisierte der Geist. Er war nicht besonders
groß, nur so lang wie meine Hand, aber mit seiner Pluderhose, der
bestickten Weste und den Pantoffeln sah er sehr nett aus.
Hallo, sagte er munter. Sie haben mich gerufen, und
dafür habe ich jetzt drei Wünsche frei.
Wie war das? fragte meine Frau. Du hast jetzt
drei Wünsche frei?
Äh, ja. Er wirkte ziemlich verlegen. Blödsinnig,
ich weiß. Ernsthaft, ich halte das für Betrug am Kunden, aber
es war auch nicht meine Idee. Ich mache das hier nicht freiwillig, wissen
Sie.
Ich sah meine Frau an, sie sah mich an, und wir mussten beide lachen.
Na gut, sagte ich, wir nehmen dir das nicht übel.
Du hast deinen Job gemacht, also kannst du jetzt verschwinden, wenn du
möchtest.
Kann ich nicht, sagte er zerknirscht. Die Regeln für
Flaschengeister sind da ganz klar: Ich muss bei dem, der mich befreit
hat, bleiben, bis die drei Wünsche erfüllt sind.
Wo ist das Problem? wollte meine Frau wissen. Dann wünschst
du dir eben irgendwas, und das war's.
Genau das kann ich nicht. Er klang beinahe verzweifelt. Die
drei Wünsche beziehen sich nur auf materielle Dinge, und auch nur
bis zu einem Gesamtwert von einem Euro. Und ich muss es mir wünschen,
wirklich wünschen, aber ich bin ein Geist und kann mit materiellen
Dingen nichts anfangen. Ach, wenn ich nur irgendwas gegen diesen Idioten
von einem Beschwörer unternehmen könnte, der sich das ausgedacht
hat!
Sie sind ja sehr freundlich zu mir, aber ich mache mir ernsthaft Sorgen
um die anderen von uns. Er hat fast dreihundert auf diese Weise eingefangen.
Meine Frau nahm den Geist beiseite und versuchte ihn zu trösten.
Ich widmete mich wieder meiner Zeitung, musste aber immer wieder an sein
Problem denken. Dann kam mir plötzlich eine Idee.
Wie ist das, fragte ich, kannst du die drei Wünsche
auch zu einem zusammenlegen?
Er überlegte. Ja, das ginge. Die anderen beiden wären
dann Nullwünsche und würden sofort verfallen. Warum?
Weil es vielleicht doch etwas Materielles gibt, mit dem du etwas
anfangen kannst. Wie wäre es, wenn du dir eines von diesen Geisterfläschchen
wünschen würdest? Und dann selbst den Korken ziehst?
Und mein Kumpel wäre frei... Er könnte dann seine Wünsche
für die nächste Flasche verwenden, und so weiter. Großartig!
Aber ihr müsstet ihm erklären, wie die Sache laufen soll, denn
wenn meine Wünsche erfüllt sind, dematerialisiere ich sofort.
Was für ein Geist bist du eigentlich? Typ P4? fragte
meine Frau. Der Geist nickte. Gut, dann kann ich vielleicht noch
etwas für dich tun. Ich habe einen Internationalen Beschwörerschein
Klasse 3, das heißt, ich habe genug Kraft, um dich zurückzuholen.
Dann kannst du die Aktion leiten.
Er stimmte begeistert zu, und so lief es dann auch. Er wünschte sich
ein Fläschchen, es materialisierte, er zog den Korken, ein zweiter
Geist erschien und unserer verschwand. Meine Frau bat den Neuen, noch
etwas zu warten, und holte mit einer klassischen Beschwörung unseren
Freund zurück.
Von da an lief alles wie am Fließband: Fläschchen wurden herbeigewünscht,
Korken ploppten, Geister erschienen, wünschten sich weitere Fläschchen
und verschwanden. Fast dreihundertmal. Es dauerte über vier Stunden,
und am Ende war mir von dem dauernden Ploppen, Tuscheln und Materialisieren
etwas schwindelig.
Dann, irgendwann, ploppte es nicht mehr. Ich sah auf, und da standen
unser Geist und der letzte seiner befreiten Freunde.
Der sagte ernst: Ich danke euch im Namen von uns allen. Für
eure Hilfe möchte ich euch etwas schenken. Bitte sagt mir, was ich
mir für euch wünschen darf.
Was gleichzeitig für ihn eine elegante Methode war, seine Wünsche
loszuwerden. Ich dachte nach, aber meiner Frau fiel zuerst etwas ein.
Wir wünschen uns schon seit langem eine kleine fleischfressende
Pflanze. Wäre das möglich?
Kaum hatte sie den Wunsch ausgesprochen, da erschien das Gewünschte.
Auf der Fensterbank stand ein kleiner Blumentopf, und das Gewächs
darin klapperte hungrig mit hellgrünen Zähnchen. Der Geist dagegen
verflüchtigte sich. Unser Freund verabschiedete sich jetzt auch.
Jeder von uns schuldet euch noch einen freiwilligen vollen Wunsch,
erklärte er. Wir sind zwar nur Geister vom Typ P, und unsere
Kräfte sind begrenzt, aber immerhin. Wir bedankten uns, und
er verschwand.
Der Beschwörer, der die ganze Sache ausgelöst hat, ist übrigens
in ziemlichen Schwierigkeiten. Ihm ist wegen dieser Aktion der Beschwörerschein
entzogen worden, und es läuft eine Klage wegen Betruges, weil die
Fläschchen, die er verkauft hat, aus den Läden verschwunden
sind. Das ist aber noch nicht alles. Es gibt auch ein Verfahren wegen
dreihundert Fällen von Freiheitsberaubung vor dem Untersten Gerichtshof,
und der Staatsanwalt der Hölle hat bereits Anklage erhoben. Ich beneide
den Mann nicht um das, was ihm bevorsteht.
© P. Warmann