Flötenspiel.

Ich wachte auf, weil meine Frau mich am Arm rüttelte.
„Hörst du das?“ fragte sie.
Ich lauschte. „Da spielt jemand Flöte, und zwar ziemlich schlecht. Mitten in der Nacht? Seltsam.“
„Seltsam, ja. Aber hör doch mal genau hin: Das ist keine normale Flöte.“
Sie hatte Recht. Eine Flöte kam dem, was da gespielt wurde, noch am nächsten, aber es klang ... weicher? Organischer? Außerdem war es keine Musik. Es waren Töne, die ineinander übergingen, zufällig, ohne Melodie oder Takt oder irgendeine Ordnung. Chaotisch und reichlich scheußlich.
Und es war nahe. Es hörte sich fast so an, als wenn der Flötenspieler auf unserer Terrasse saß.

„Na gut, ich sehe nach“, sagte ich und schälte mich aus der Bettdecke. Ich zog mir etwas über, bevor ich nach draußen ging – man weiß nie, was dort auf einen wartet.
Als ich auf die Terrasse trat, ging das Außenlicht an. Da sah ich sie: Über dem Rasen tanzten drei ... ja, drei was? ‘Bäume’ traf es wohl noch am ehesten. Jedenfalls hatten sie Stämme, schlanke braune Stämme, ganz glatt und wie poliert. Ihre Kronen bestanden aus kurzen, dicken Ästen, und die Blätter hatten eine wirklich seltsame Form: dreieckig und mit kreisrunden Löchern, die aber aussahen, als gehörten sie zum Design. Zumindest waren sie grün, die Blätter.
Wurzeln hatten sie auch. Ich konnte sie gut erkennen, wie sie sanft hin und her schwangen, denn die Bäume schwebten einen guten Meter über dem Boden. Und noch etwas fiel mir auf: Die Flötentöne kamen aus ihrer Richtung, aber ich sah keinen von ihnen sie hervorbringen.

Dann entdeckten sie mich und kamen auf mich zugeschwebt. Sie wiegten aufgeregt die Zweige.
„Sei gegrüßt, Auserwählter“, raschelte der mittlere. Es klang wie Blätterrauschen, war aber gut zu verstehen. „Komm mit uns und beginne dein Werk! Säume nicht, denn...“
„Moment mal“, unterbrach ich ihn. „Auserwählt? Von wem? Wozu? Und wer seid ihr überhaupt?“
Verlegenes Rascheln. Dann übernahm der linke: „Auserwählt vom Schicksal als erster Diener des Wahnsinnigen Gottes, der in der dunklen Leere am Rande des Universums seine Flöte spielt. Auserwählt, das Chaos über diese Welt und jede andere zu bringen, auf dass nichts bleibt als leere Dunkelheit.“
Ich hatte den Eindruck, dass sie mich erwartungsvoll ansahen, obwohl ich nirgendwo so etwas wie Augen erkennen konnte.
„Nein“, sagte ich. „Keine Chance. Ich mag das Universum so, wie es ist, danke. Etwas Chaos hier und da ist ja ganz nett, aber nicht im Übermaß. Ich rühre keinen Finger für diesen sogenannten Gott und seine Pläne.“
Sie rangen entsetzt die Zweige. „Aber du bist vom Schicksal auserwählt!“
„Quatsch. Kann ja sein, dass das Schicksal etwas derartiges mit mir vorhat, aber ich spiele schlicht nicht mit. Wie passt ihr eigentlich in die Sache? Wieso arbeitet ihr für diesen Spinner? Und müsst ihr die ganze Zeit sein Gedudel ertragen?“
Die Flötentöne waren nämlich im Hintergrund immer weitergelaufen, und der verworrene Klangbrei ging mir inzwischen ziemlich auf die Nerven.
Die drei wanden sich verlegen. „Wir sind die Diener des Wahnsinnigen Gottes, dazu bestimmt, sein Werk vorzubereiten“, sagte der linke, aber ohne rechten Schwung.
„Dazu bestimmt? Etwa auch vom Schicksal? Lasst euch das nicht einreden. Es gibt immer eine Wahl. Überhaupt scheint ihr keine besondere Freude an dem Job zu haben – warum werft ihr ihn nicht einfach hin? Ich frage mich auch, ob es für euch als Bäume gut ist, so entwurzelt in der Luft zu hängen.“
Damit hatte ich anscheinend etwas angesprochen. Sie wandten sich von mir ab, steckten die Kronen zusammen und begannen zu tuscheln. „Einfach wurzeln?“ hörte ich, „Aber wir können doch nicht ... Schicksal ... wurzeln ... seine Diener ... wurzeln ... aufhören damit ... ein schöner Ort ...“ Und immer wieder ‘wurzeln’.
Dann drehten sie sich wieder zu mir um. „Denkst du das wirklich? Meinst du, wir könnten hier wurzeln? Gleich hier?“ Sie tasteten alle drei sanft, aber begeistert mit den Wurzelspitzen über meinen Rasen.
„In unserem Garten?“ Ach was, warum nicht. Sie waren nette Kerle, wir würden schon miteinander zurechtkommen. „Meinetwegen gern. Vielleicht aber nicht so nahe am Haus – wie wäre es am anderen Ende des Rasens?“
Sie raschelten begeisterte Zustimmung. Die Flötenmusik brach ab – anscheinend hatten sie die Übertragung unterbrochen –, und sie sausten los, ließen sich am hinteren Ende des Gartens nieder und gruben ihre Wurzeln in den Boden.

Ich ging zurück ins Bett. Meine Frau schlief tief und ruhig, wurde aber wach, als ich neben sie schlüpfte.
„Alles in Ordnung“, sagte ich. „Irgend so ein bekloppter Gott wollte mich zu seinem Stellvertreter auf Erden machen, aber ich habe abgelehnt. Ich erzähle dir den Rest morgen. Übrigens, wir haben eine neue Baumgruppe im Garten.“
„Ach ja?“ Sie schüttelte den Kopf. „Weißt du, ich glaube, es war wirklich keine so gute Idee von deiner Mutter, damals diese Schicksals-Mitmach-Karte für dich auszufüllen.“
„Wem sagst du das“, brummte ich, und dann schlief ich ein.

© P. Warmann