Der Geburtstag.

Es war der Geburtstag meiner Frau, und sie war dabei, ihre Geschenke auszupacken. Als erstes widmete sie sich dem Päckchen, das meine Mutter mitgebracht hatte. Auswickeln, ansehen, dann ein begeistertes „Wie schön!“ Sie hielt es mir hin: Es waren eine Zuckerdose und ein Sahnekännchen mit dem klassischen Dekor ‘enthaupteter Mann’.
„Sieh nur“, rief sie, „das ist ein Stück aus der ersten Serie. Wie wunderbar hier das herunterlaufende Blut getroffen ist – später haben sie sich diese Mühe nicht mehr gemacht.“
Sie drückte meiner Mutter einen Kuss auf die Wange und bedankte sich noch einmal herzlich. Dann wandte sie sich den anderen Gästen und deren Geschenken zu.

Ich lächelte meine Mutter an. „Ihr habt genau das Richtige getroffen. Wo habt ihr es eigentlich her?“
„Von einer Antiquitätenmesse.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ein Mensch, der die Stücke ebenfalls unbedingt haben wollte, hat deswegen sogar deinen Vater zum Duell gefordert.“
„Ein Duell?“ Ich muss relativ erschrocken geklungen haben, denn meine Mutter beruhigte mich.
„Nur bis zum ersten Blutstropfen. Aber du weißt, wie dein Vater ist, wenn er seinen Stockdegen zückt: Sie mussten den armen Kerl von einem Konkurrenten mit durchstochenem Oberschenkel wegtragen.
Ich habe zu deinem Vater gesagt: ‘Horst, war das wirklich nötig?’, aber er meinte ‘Das wird den Kerl lehren, andere Leute nicht wegen jeder Kleinigkeit zu fordern’.“
„Kommt Vater später noch vorbei?“
„Er wird es auf jeden Fall versuchen, aber sie haben ein Problem mit Dämonenbefall in einer der großen Offset-Maschinen. Sie müssen es unbedingt bis zum Sabbath in den Griff bekommen, sonst breitet es sich im ganzen System aus.“
„Da sei Cthullhu vor“, sagte ich und ging hinüber zu meiner Frau.

Sie wickelte gerade ein weiteres kleines Päckchen aus. Ich sah mir die anderen Geschenke an: eine Pudelpresse, eine sehr schöne eiserne Gartenlaterne im japanischen Stil von ihrem Bruder, einen Satz Regensteine von Julia, einer Beschwörerin und Freundin meiner Frau.
Aus dem Päckchen kam eine kleine Phiole zum Vorschein. Meine Frau las das Etikett: „Strychnin? Selbst eingekocht? Ach Hildegard, danke. Das selbst gemachte ist immer noch das beste, und meines ist fast aufgebraucht.“

Es war das letzte der Geschenke gewesen, und alle sahen jetzt mich erwartungsvoll an.
„Du siehst mich hier mit leeren Händen“, erklärte ich, „und ich muss dir sagen: Ich kann dir nichts schenken.“
„Wirklich nichts?“ Sie strahlte.
„Absolut nichts.“
„Oh Schatz, das ist wundervoll!“ Es trug mir einen langen und intensiven Kuss ein. Dann fragte sie: „Wo ist es?“
„Hier.“ Ich zog vorsichtig das fest verstöpselte Glas aus der Jackentasche. Es war in ein Tuch gewickelt, damit ich keine Fingerabdrücke darauf hinterließ.
Es ist schon seltsam: Man kann in jedem beliebigen Gefäß nichts aufbewahren, aber das Glas muss völlig klar und durchsichtig sein. Wenn es nur eine Stelle gibt, durch die man nichts sieht, dann hat man ein Problem. Mir ist das vor Jahren passiert, und ich habe wochenlang Stellen in meinem Gesichtsfeld gehabt, wo ich Nichts sah. Damit sind nicht schwarze Flecken oder blinde Stellen gemeint. Es war viel unheimlicher, denn ich sah dort das Unaussprechliche, das in der Abwesenheit von Gegenständen ist.
Meine Frau stellte das Glas voller Nichts sehr vorsichtig auf den Geburtstagstisch. „Ich werde sehr genau überlegen, worauf ich es anwende“, sagte sie zu mir. „Walter hat damit das Gitter vor seinem Flurfenster behandelt, dummerweise aber nicht nur die Stäbe vernichtet, sondern auch die Lücken dazwischen. Jetzt kann er machen, was er will, es gibt keine Lücken mehr, also ist kein Platz für ein neues Gitter. Ich werde also vorsichtig sein.
Aber jetzt – widmen wir uns der Torte.“

© P. Warmann