Von Heinzelmännchen befallen.

„Schatz, hörst du das?“ fragte ich meine Frau. „Da hämmert doch jemand.“
„Ist bestimmt irgendwer draußen“, murmelte sie verschlafen.
„Nein, das klingt, als wäre es hier im Haus. Wir sollten nachsehen.“
„Nchmgrl“, murmelte sie und zog sich die Decke über den Kopf. Und ehrlich gesagt hatte auch ich keine große Lust, das warme Bett zu verlassen und mich auf die Suche nach dem geheimnisvollen Hämmerer zu machen. Außerdem hatte das Klopfen inzwischen aufgehört. Also drehte ich mich auf die andere Seite und war schon fast wieder eingeschlafen – als plötzlich etwas mit einem lauten 'Jippie!’ über unsere Bettdecke geschossen kam.
„Nein!“ schrie meine Frau und saß senkrecht im Bett. „Wir sind von Heinzelmännchen befallen!“
Ein schrilles Kichern unter dem Bett bestätigte das, und in der Küche fiel etwas laut scheppernd in die Spüle.
Wir sahen uns an. Dann kam etwas unter dem Bett hervorgekrabbelt, ein Etwas – ein Wicht, ungefähr so groß, wie meine Hand lang war, mit kurzem Jäckchen, Kniehosen und, natürlich, einer Zipfelmütze. Er grinste breit, winkte uns zu, kicherte und sauste davon, gefolgt von mindestens acht seiner Kollegen. Draußen auf dem Flur begann ein Wispern und Tuscheln. Es war offensichtlich, dass meine Frau Recht hatte.
„Beruhige dich“, sagte ich, „so, wie sie aussehen, sind das Wanderheinzelmännchen. Diese Sorte bleibt nicht lange. In einem oder zwei Tagen sind sie wieder verschwunden.“
„Ja, aber bis dahin haben sie den ganzen Haushalt umgekrempelt, und wir erkennen unser Zuhause nicht mehr wieder. Du weißt, wie die sind.“
„Ja, aber was willst du machen? Da hilft nur die Zähne zusammenbeißen und die Sache aussitzen.“

Das versuchten wir, aber es war verdammt noch mal nicht leicht, die Selbstbeherrschung zu bewahren. Es war so, wie meine Frau es befürchtet hatte: Sie hatten unser Haus übernommen. Wo man hinsah, wuselten Heinzelmännchen herum, klein, flink, unheimlich eifrig und ununterbrochen kichernd.
Man konnte ihnen nicht entkommen. Während ich im Bad versuchte, mich auf das Zähneputzen zu konzentrieren, hämmerte ein Trupp den Kalk vom Duschkopf, einer schliff fröhlich pfeifend meine Rasierklingen nach, und ein anderer modelierte versonnen Rosenranken auf die Oberfläche der Seife.
Den Kleiderschrank hatten sie ebenfalls komplett übernommen. Als ich ihn öffnete, um ein frisches Hemd herauszuholen, sah ich mindestens ein Dutzend von ihnen an der Arbeit. Sie waren emsig dabei, lose hängende Knöpfe festzunähen, Flecken zu entfernen und Pullover liebevoll wieder flauschig zu kämmen. Alles sehr nützlich und hilfreich, ohne Frage, und sie bügelten auch alle meine Hosen – einschließlich der, die ich anhatte.
Dann entdeckte ich einen, der dabei war, meine Lieblingskrawatte mit einem Rosenmuster zu besticken. Ich holte tief Luft. „Wenn das nicht in drei Minuten wieder verschwunden ist, dann mache ich euch die Hölle heiß“, drohte ich. „Und ich meine das so, wie ich es sage.“
Er zuckte heftig zusammen und machte sich hastig daran, die Stickerei wieder rückzubauen – offensichtlich wusste er, dass ich tatsächlich gewisse familiäre Beziehungen zu denen da unten habe. (Mein Vater steht in dem Ruf, eine Art Berater für den alleruntersten Herrscher der Hölle zu sein. Nur sehr wenige wissen, dass er in Wirklichkeit etwas ganz anderes ist – genau genommen ist es nämlich eher umgekehrt...)

Als ich in die Küche kam, waren sie auch hier emsig am Werke. Ein Trupp zerlegte gerade den Toaster, Putzgeschwader schrubbten jeder erreichbare Oberfläche, und ein Dutzend unserer ungebetenen Gäste zerrte den großen Bratentopf über die Bodenfliesen. Sie wollten damit offensichtlich in Richtung Herd.
„Was haben die denn damit vor?“ fragte ich meine Frau.
Sie seufzte. „Sie benutzen den Backofen, um die Temperaturbeständigkeit der Topfgriffe zu testen, auf ein halbes Grad genau. Den Wert gravieren sie dann in den Topf, zusammen mit den genauen Maßen, dem Fassungsvermögen, den Matrialkennzahlen und was weiß ich sonst noch für technischen Daten. Offensichtlich damit wir sie parat haben, wenn wir sie mal brauchen sollten... Übrigens, sie haben alle Töpfe und auch die Pfannen spiegelblank poliert.“ Sie seufzte noch einmal.
„Ja und?“ fragte ich.
„Nun, dazu mussten sie von den Pfannen die Teflonbeschichtung entfernen...“
„Oh“, sagte ich, und dann fiel mir etwas ein. „Hast du gesagt, sie gravieren die Daten ein?“ Ich sah mich um. „Falls einer von euch versuchen sollte, irgend etwas mit einem Rosenmuster zu verzieren“, sagte ich laut, „dann gilt für ihn dasselbe wie für die Jungs im Schlafzimmer.“
Aus allen Ecken erklang ein enttäuschtes 'Ooch’. Befriedigt machten wir uns an die Frühstücksvorbereitungen.

Das klappte erstaunlich gut, auch wenn die Kaffeemaschine wegen eines Entkalkungstrupps unbenutzbar war und ein Heinzelmann unbedingt noch schnell den Brotkasten ausfegen musste. Als ich den Kühlschrank öffnete und nach der Marmelade greifen wollte, sah ich einen Wicht keidebleich auf der obersten Ablage hocken.
„Was ist los?“ fragte ich sarkastisch. „Willst du kurz mal eine Runde chillen?“
Er schüttelte heftig den Kopf und deutete vor Angst schlotternd auf das Gemüsefach.
„Hast du das Schild nicht gelesen?“ fragte ich „Nicht ohne Grund steht da 'Vorsicht, bissige Möhren’.“ Sie stammten aus dem Garten meiner Eltern, und alles, was in der Nähe meines Vaters wächst, neigt dazu, ein beunruhigendes Eigenleben zu entwickeln.
Er nickte, schüttelte sich noch einmal und huschte dann an mir vorbei aus dem Kühlschrank – in größtmöglicher Entfernung zum Gemüsefach.

Das Frühstück verlief weitgehend komplikationslos. Wir beschlossen das Rosenrankenrelief auf der Butter zu ignorieren, ebenso den Heinzelmann, der mit einem Handfeger bewaffnet bereit stand, um unsere Frühstücksbretter krümelfrei zu halten. Es lohnte einfach nicht, sich darüber aufzuregen.
Den Rest des Tages verbrachten wir in einem Zustand, um es mal so auszudrücken, ?halber Anspannung’. Überall klopfte, quietschte und kicherte es, Heinzelmännchen gingen fröhlich und voller Schwung ihrer Arbeit nach oder stürzten plötzlich mit einem begeisterten ?Jippie!’ davon, wenn sie eine neue aufregende Aufgabe für sich entdeckt hatten.
Ich versuchte mich im Wohnzimmer in einen Sessel zu setzen und zu lesen, aber ich konnte mich nicht wirklich konzentrieren. Auf der Fensterbank grub ein Heinzelmann die Blumentöpfe um, machte aber einen großen Bogen um den mit der Fleisch fressenden Pflanze, was klug von ihm war: Sie folgte verstohlen jeder seiner Bewegungen, bereit, ihn in einem unvorsichtigen Augenblick zu erwischen. Andere wuschen, kämmten und föhnten liebevoll jedes einzelne Teppichhaar, und zwei polierten den Panzer unserer Kardamam-Zimt-Raumduft-Schildkröte. Sie hatte sich tief in ihren Panzer zurückgezogen, und ich wünschte mir, ich könnte das auch.
Dann bekam einer von ihnen beim Reinigen des Staubsaugers einen nicht enden wollenden Hustenanfall, und ich warf entnervt die Zeitung zur Seite – die natürlich sofort aufgehoben und sorgfältig zusammengelegt wurde. Mit einem bangen Gefühl im Magen machte ich mich auf eine Runde durch die Wohnung.
Ja, sie hatten den Boden in der Diele gebohnert, sinnloserweise meine Autoschlüssel poliert, einen neuen Fußabtreter geschmiedet (erfreulicherweise mit einem schlichten geometrischen Muster – offensichtlich nahmen sie mein Rosenrankenverbot ernst) und, warum auch immer, fein gehäkelte Schonbezüge über jeden einzelnen unserer Schuhe gezogen. Das war alles mehr oder weniger sinnvoll und zumindest zu ertragen, dachte ich. Dann entdeckte ich, dass sich im Arbeitszimmer zwei Trupps einen erbitterten Wettkampf lieferten: Die eine Mannschaft wollte unsere Bücher nach der Größe ordnen, die andere sortierte sie blitzschnell wieder um und ordnete sie nach Farben. Ich seufzte.

Wenig später saß ich wieder im Wohnzimmer und versuchte doch noch etwas Ruhe zu finden, als plötzlich einer von den Wichten jammernd aus dem Kamin geschossen kam und mit glimmender Mütze in Richtung Badezimmer stürzte. Eine Gruppe seiner Kollegen stand im kalten Kamin und starrte tuschelnd nach oben.
„Ach, seid ihr unserem Draak begegnet?“ fragte ich. Ich ging zum Kamin und sah nach oben in den Rauchfang, und dort hing er: eine lebendige Feuerkugel, die leise vor sich hinknisterte.
„Sssst! Sssag ihnen, sssie sssollen verschchwinden“, zischte er. „Sssie sssagen, sssie wollen sssaubermachchen, aber diesss issst mein Kamin, und hier gibt esss keinen Russs!“
Die Heinzelmännchen tuschelten und warfen immer wieder Blicke nach oben in den Kamin, aber als ihr Kollege mit angekokelter Mütze aus dem Bad zurück kam, beschlossen sie wohl, es aufzugeben, und zogen ab.

Überhaupt verloren ihre Aktionen so langsam an Schwung. Als der Nachmittag fortschritt, fanden sie immer weniger für sich zu tun, und schließlich, und ohne sich zu verabschieden, waren sie plötzlich verschwunden. Die Stille nach dem stundenlangen Lärm fühlte sich sehr ungewohnt an.
Meine Frau und ich sahen uns an. „Anscheinend sind sie wirklich weg“, sagte ich hoffnungsvoll.
„ich sehe lieber noch einmal nach“, meinte sie und machte sich auf einen Rundgang durch das Haus.
Nach ein paar Minuten kam sie zurück. „Sie sind tatsächlich abgezogen“, sagte sie. „Ich habe mir alles angesehe: Das Haus ist geradezu unnatürlich sauber, und ihren Sinn für Ordnung verstehen wahrscheinlich nur sie selbst – ich meine, würdest du die Lebensmittelvorräte alphabetisch ordnen?“
„Und die Bücher nach Farben? Nein. Wir haben da wahrscheinlich einiges zurückzuräumen.“
„Das denke ich auch. Oh, übrigens ... sie haben unsere Weinvorräte gefunden.“
„Und was haben sie damit gemacht?“ fragte ich alarmiert.
„Zum Glück nichts. Den Wein haben sie in Ruhe gelassen, nur die Etiketten haben sie abgelöst. Anscheinend haben sie ihnen nicht gefallen, und deshalb haben sie sie durch neue, handgemalte ersetzt. Ich finde, das sieht gar nicht so schlecht aus, jedenfalls ist es sehr individuell.“
„Und keine Rosenranken?“ fragte ich sarkastisch.
„Nein, aber sie haben ein Weinblattmuster in die Flaschen graviert.“
„Damit können wir leben“, sagte ich.
„Ja, sicher. Allerdings...“ Sie sah mich an. „Äh ... die Sache mit den Etiketten haben sie auch mit deinen Schallplatten gemacht...“
„Was?“ Ich stürzte ins Arbeitszimmer. Meine Frau hatte Recht. Jede meiner Schallplatten hatte zwei hübsche, handgemalte – mit Buntstiften – neue Etiketten, auf denen sie anscheinend versucht hatten, die Musik zu interpretieren. Offensichtlich verbanden sie Old Time Jazz mit Raddampfern, Johann Sebastian Bach mit Ameisen (warum auch immer) und okkulten Rock mit ... also, wenn das die Heinzelmännchen-Version der Hölle war, dann ziehe ich unsere vor.


© P. Warmann