Der Insektengesumm-Player.

Es war ein schöner Sonnentag, und ich überlegte mir, dass ich Alex besuchen könnte. Also schwang ich mich auf mein Fahrrad und radelte los.
Als ich klingelte, machte er mir sofort auf. „Oh, gut, dass du kommst, ich wollte dich schon anrufen. Ich habe eine Kleinigkeit für dich. Du hast doch einen von diesen MP3-Playern?“
„Ja“, sagte ich und zerrte das Ding aus meiner Hemdtasche.
„Gut. Wir brauchen den Kopfhörer. Aber warte noch einen Augenblick, ich möchte dir erst etwas zeigen. Komm mit in den Garten.“

Der Garten von Alex ist eine Pracht. Seit ein von seiner Schwester entwickelter Pilz die Schwermetalle aus dem Boden gezogen hat (das Grundstück war früher eine Gerberei), wächst hier wieder alles. Überall Blumen, mit Blüten überladene Sträucher und duftende Kräuter. Insekten schwirrten umher, tauchten in die Blütenkelche und flogen mit Nektar vollgetankt davon.
Alex lotste mich in den hinteren Teil des Gartens. Ich folgte ihm, wich den bissigen Löwenmäulchen aus, die nach meiner Hose schnappten, machte einen Bogen um eine extrem scharf geschliffene Schwertlilie und blieb dann stehen, weil ich ein seltsames Geräusch hörte.
„Schnurrt hier eine Katze?“ fragte ich Alex. Aber eigentlich war der Ton dafür zu tief.
„Nein, das ist die Brommbeere“, sagte Alex und zeigte auf einen Strauch. „Brommt den ganzen Sommer über, aber die Früchte sind sehr lecker.“
Schließlich landeten wir bei einem Beet mit gemischten Blumen. Hier wuchs und blühte alles durcheinander, Kamille, Klee, Rittersporn, Mohn, Schlüsselblumen und noch ein halbes Dutzend andere, von denen ich nicht einmal die Namen wusste. Den Bienen gefiel es: Sie sausten von Blüte zu Blüte und tankten Nektar.
Überall zwischen den Pflanzen verteilt standen dünne Drahtgestelle mit stabförmigen Dingern daran, von denen Kabel zu einem Kasten führten, der extrem nach einer von Alex’ Erfindungen aussah.
„Mikrofone“, erklärte Alex und nahm die Abdeckung von dem Kasten. Ich erkannte ein großes Einstellrad und eine Reihe von Reglern, außerdem war an das Ding ein Kopfhörer angeschlossen.
„Wie du sicher weißt“, begann Alex seine Erklärung, „ist in weißem Rauschen jede Art von Frequenz, also jeder Ton enthalten. Ich habe jetzt herausgefunden, dass in Insekten-Gesumme jede Art von Melodie enthalten ist. Die Pflanzen hier sind nur dazu da, eine möglichst breite Auswahl an Insekten anzulocken, die Mikrofone nehmen das Summen auf und decken die Anflugwege aus verschiedenen Winkeln ab. Die eigentliche Signalbearbeitung geschieht in dem Kasten dort. Er extrahiert... Moment.“
Alex wandte sich ab, verzog das Gesicht und musste niesen. Es wurde der erwartete längere Niesanfall, und eine Wolke winziger Blüten kam aus seiner Nase. Ich fing einige davon auf.
„Cremefarben mit hauchfeinen roten Streifen“, sagte ich. „Schick. Solche hattest du noch nie, oder?“
„Ach, ich hasse diese Pollenallergie“, grummelte Alex. „Jedenfalls, der Apparat filtert das Summen und extrahiert daraus die verschiedensten Arten von Musik. Versuche es: Setze dir den Kopfhörer auf, aber bitte lass die Finger von den Reglern. Musikauswahl machst du mit dem großen Rad.“
Ich setzte mir vorsichtig den Kopfhörer auf, denn bei Alex weiß man nie, was einen erwartet. „Oh“, sagte ich überrascht. „Was ist das? Streichquartett?“ Ich lauschte. „Kommt mir irgendwie bekannt vor...“
„Ich frage mich, ob man auch gezielt zum Beispiel Beethovens neunte Sinfonie herausfiltern könnte“, sagte Alex nachdenklich. „Normalerweise klingt es aber nur ‘so ähnlich wie’. Los, versuche es, dreh am Rad.“
Ich betrachtete das große Einstellrad, das Alex in seiner winzigen, aber präzisen Schrift beschriftet hatte. Im Moment stand es auf ‘Klassik’. Ich drehte langsam weiter. Aus dem Streichquartett wurde ein Klavierkonzert, dann spanische Gitarrenmusik. „Cool“, sagte ich. Alex strahlte. Ich drehte schneller am Rad, durchfuhr die Sektoren ‘Swing’, ‘Walzer’, ‘Synthie-Pop’, ‘Blues’ und ‘Lateinamerikanisch’ und hörte die dazugehörige Musik. Die Stücke hatten keine durchgehende Melodie, sie wandelten sich, während sie gespielt wurden, klangen aber immer harmonisch. Ich probierte noch ein paar Einstellungen aus. Unter ‘Indisch?’ fand ich etwas, das fast, aber nicht ganz wie eine Sitar klang. Dann entdeckte ich einen Sektor mit der Beschriftung ‘Bäh!’. Was das wohl war ...
„Igitt“, sagte ich und nahm den Kopfhörer ab. „Italienische Mandolinenschnulzen?“
Alex grinste. „Tja, du bekommst jede Art von Musik. Ich hatte auch schon Kinder, die auf verstimmten Blockflöten üben. Aber jetzt zu dem Geschenk für dich.“ Er zog etwas aus der Tasche und reichte es mir. „Das ist eine verkleinerte, tragbare Version davon, für unterwegs. Ich habe die Filter so eingestellt, dass sie nur echte Musik durchlassen. Du kannst ganz normal einen Kopfhörer anschließen, es funktioniert aber nur, wenn Insekten in der Nähe sind. Weil das in der Stadt nicht immer gegeben ist, spielt es die letzte empfangene Melodie als Schleife, wenn es nichts aufnehmen kann.“
„Danke, Alex.“ Ich betrachtete das Ding. Es hatte Größe und Format wie eines von diesen ultrateuren MP3-Dingern, war aber dunkelgrau. Ich stöpselte den Kopfhörer von meinem MP3-Player ein und drehte das Einstellrad. „Das gefällt mir“, sagte ich. „Eine Art 80er-Jahre-Gitarrenpop. Macht sich gut beim Fahrrad fahren.“ Dann zuckte ich zusammen. „Ups, was war das jetzt? AC/DC?“
Alex lachte. „Dann ist dir eine Hummel durch den Aufnahmekegel geflogen.“
Inzwischen war mir etwas aufgefallen. Ich betastete mein Geschenk, denn es fühlte sich seltsam an. „Ist das aus Stein?“
„Ja. Aus Silex, besser bekannt als Feuerstein. Funktioniert piezoelektronisch. Ich habe als Kind im Urlaub an der Ostsee daraus mal ein Radio geschnitzt, damals habe ich für die Stromversorgung ein Windrädchen benutzt, du weißt schon, so ein buntes, wie man sie am Strand kaufen kann. Das hier funktioniert aber nach dem Energie-Masse-Äquivalent.“
Ich schluckte. „Wie? Etwa radioaktiv?“
„Nein, natürlich nicht. Die Leute haben Einstein völlig falsch verstanden. Du musst nicht Masse in Energie umwandeln – dann bekommst du höchstens ein Atomkraftwerk, mit allen Problemen, die da dranhängen. Materie und Energie sind tatsächlich zwei Erscheinungsformen derselben Sache, du kannst einfach Masse wie Energie verwenden. Ich habe ein Thesenpapier darüber an ‘Science’ geschickt, aber die sagen, sie müssen es prüfen, und das könne einige Jahrzehnte dauern.“
„Wenn also Masse Energie ist, warum hat die Welt dann immer noch Energieprobleme?“
„Äh ... die Sache funktioniert im Moment nur bis zu Leistungen von 1200 Milliwatt. Masse verhält sich irgendwie zäher als Energie, und es gibt dann Probleme mit der Schwerkraft ... ich arbeite daran.“
Also doch noch nicht die Lösung für alle Energieprobleme der Menschheit. Ich bedankte mich noch einmal bei Alex, dann radelte ich los und nahm mir vor, meine Balkonkästen mit bienenfreundlichen Blumen zu bepflanzen, aus musikalischen Gründen.

© P. Warmann