Gartengefahren.

Es war ein heißer, sonniger Nachmittag, ich kam von der Arbeit und dachte mir, ich könnte ganz spontan einmal Alex besuchen. Ich hatte ihn längere Zeit nicht mehr gesehen, was normalerweise darauf hindeutet, dass er mit irgendeiner seiner Erfindungen beschäftigt ist. Das machte mich neugierig.

Bei seinem Haus angekommen klingelte ich. Keine Reaktion. Ich klingelte noch einmal, wieder rührte sich nichts. Möglicherweise war Alex im Garten, dachte ich, denn er verlegt im Sommer seine Experimente gerne nach draußen. Also ging ich nachsehen.
Ich bog um die Hausecke und ... stand vor einem Monster. Mir blieb fast das Herz stehen. Ich dachte nicht einmal daran wegzulaufen, ich stand nur da und starrte das Ding an. Es war so groß wie ein Mensch, hatte Arme, Beine und einen Kopf, aber es war schwarz. Tiefschwarz, wie ein lebender, dreidimensionaler, aufrecht gehender Schatten. Und es hatte Augen, die mich anstarrten.
„Oh, hallo, das ist ja eine freudige Überraschung“, sagte das Ding mit Alex’ Stimme. „Ich habe dich klingeln gehört, aber ich war im Garten.“
„Äh ... Alex?“ brachte ich heraus.
„Was? Ach so, das kennst du ja noch gar nicht. Wie gefällt dir mein Ganzkörper-Schatten? Sehr praktisch bei diesem Wetter“, sagte das Schattenwesen, griff sich an die Stirn und wurde zu Alex, in kurzen Hosen und T-Shirt und mit einem Stirnband mit einer Art Rundum-Antenne – offensichtlich eine weiterentwickelte Version seines Schattenprojektors.
„Wirklich eine ganz tolle Erfindung“, sagte ich leicht sarkastisch. „Aber, Alex, wenn du so auf die Straße gehst, wirst du die Leute zu Tode erschrecken.“
Er lachte und lotste mich in den Garten.

Es war so, wie ich es mir gedacht hatte: Unter der großen Linde hatte Alex einen Tisch aufgestellt, auf dem sich wie sonst in seiner Werkstatt Blechdosen, Schachteln, Werkzeug, undefinierbare elektronische Bauteile und eng mit komplexen Berechnungen beschriebene Zettel türmten.
Alex ließ sich in einen Korbsessel fallen. Ich setzte mich ebenfalls.
„Du siehst etwas blass aus“, bemerkte ich. „Überarbeitet? Oder erkältet?“
„Blutverlust. Ich habe die letzten zwei Tage mit meiner Schwester gegen einen vampirischen Rotkohl gekämpft, der ihre Gärtnerei unsicher machte. Am Ende haben wir ihn gepfählt, aber vorher hat er mich noch erwischt.“
Ich starrte ihn an. „Ja, klar“, sagte ich. „Als nächstes erzählst du mir noch etwas von kannibalischem Brokkoli.“
„Von dem hast du also auch gehört?“ fragte Alex düster. „Erst hat er seine Beetnachbarn gefressen und dann ein Gemetzel unter den Kohlrabis angerichtet. Ich habe meiner Schwester gesagt, sie soll bei ihren Experimenten vorsichtiger sein. Sie sagt, sie beschränkt sich jetzt auf Blumenzucht, aber selbst das... Komm mal mit, ich zeige dir was.“
Er sprang auf, und ich folgte ihm zu einem der Beete weiter hinten im Garten. Dort zeigte er auf einige sehr hübsch aussehende schlanke Pflanzen mit tiefgrünen Blättern und blassblauen Blüten.
„Hör mal“, sagte er.
Ich lauschte. Ziemlich widerliches heiseres Gefiepe drang an mein Ohr – fast wie eine Melodie, aber so falsch gesungen, dass es beinahe körperlich weh tat.
„Kommt das von den Blumen?“ fragte ich verwundert.
„Oh ja. Meine Schwester hat von einem befreundeten Züchter aus Taiwan chinesische Singnesseln bekommen – die singen sehr schön, zwar nur Lalala, aber wirklich nett. Sie sind aber nicht winterhart, deshalb hat sie einheimische Taubnesseln eingekreuzt, und das ist das Ergebnis. Sie sind taub, aber sie singen immer noch, nur hören sie sich selbst nicht, deshalb...“
„Oh je“, sagte ich. Alex nickte, und wir gingen zurück zum Sitzplatz.

Während ich noch über Angriffe vampirischen Rotkohls nachdachte, lachte Alex plötzlich.
„Mach nicht so ein Gesicht. Nimm lieber einen von denen.“
Er hielt mir eine Blechdose mit etwas hin, das wie sehr kleine Kekse aussah. Ich nahm einen. Er hatte eine seltsame Form: rechteckig mit einer abgeschnittenen Ecke. Etwas misstrauisch probierte ich ihn und war angenehm überrascht: Er war pikant und sehr lecker.
„Was war das?“ fragte ich.
„Ein roter? Vier Gigabyte.“
Ich starrte Alex an, und er lachte wieder. „Das sind selbst gebackene Speicherchips. Ich habe mit organischen Halbleitern experimentiert, und als ich die Zutatenliste sah, dachte ich mir, das sieht wie ein Keksrezept aus. Die roten sind mit Paprika, die gelben sind mit Curry und haben zwei Gigabyte.“
„Heißt das, ich kann so ein Teil einfach in meine Digitalkamera schieben?“ fragte ich verblüfft.
„Im Prinzip schon ... sie sind aber noch nicht perfekt. Sie krümeln etwas, und das ist nicht gut für empfindliche Geräte. Außerdem haben sie nur eine Mindesthaltbarkeit von sechs Monaten. Für die Serienreife muss ich sie noch etwas überarbeiten – den Curry werde ich wahrscheinlich weglassen.“
Ich überlegte. „Vielleicht eine Eiweißglasur gegen das Krümeln... Alex, gib mir das Rezept, vielleicht fällt mir etwas ein. Schließlich bin ich Konditor.“
„Willst du dir die Mühe machen? Vielen Dank“, sagte Alex und schrieb mir das Rezept auf einen Zettel.

„Ach ja, und dann ist da noch die Filmkamera“, sagte Alex. „Die kennst du auch noch nicht.“ Er stellte etwas auf den Tisch.
„Alex“, sagte ich, „das ist Großmutters Parfümzerstäuber.“
„Ja“, sagte er. „Äh, nein, also genau genommen ist das der Filmbehälter, sozusagen, oder besser gesagt, der Film ist die Kamera.“
„Ah ja“, sagte ich und starrte auf das Ding, das wirklich aussah wie der Parfümzerstäuber meiner Oma, mit so einem kleinen Blasebalg zum pumpen, nur war dieser hier aus rotem Glas. Der von meiner Oma war gelb gewesen.
„Pass auf“, sagte Alex und brachte einen Taschenspiegel zum Vorschein. Er lehnte ihn gegen seinen Kaffeebecher und sprühte ihn mit dem Inhalt des Zerstäubers ein. Auf dem Spiegel bildete sich eine durchsichtige Schicht.
„Es geht mit jeder glatten Oberfläche“, erklärte er, „aber ein Spiegel macht es leichter, den Ausschnitt zu wählen. Der Film macht jetzt ein Bild von der Szene, die auf den Spiegel fällt. Das dauert etwa drei Sekunden ... siehst du, jetzt wird der Film trübe. Noch zwei Minuten warten, dann ist das Bild entwickelt.“
Zwei Minuten später war der aufgesprühte Film undurchsichtig und weiß geworden. Alex zog ihn vom Spiegel ab und reichte ihn mir. Auf der Innenseite sah ich ein Bild des Gartens, farbig und gestochen scharf.
„Das ist witzig“, sagte ich ziemlich begeistert. „Darf ich es auch versuchen?“
„Nur zu“, sagte Alex und schob mir den Zerstäuber rüber. Ich schnappte mir den Kaffeebecher – es war einer ohne Henkel –, sprühte ihn ein und hatte drei Minuten später ein Rundum-Panorama des Gartens.

Eine halbe Stunde und eine Tasse Kaffee später verließ ich Alex’ Heim, in der Tasche ein Fläschchen mit dem Kamerafilm. Ich sah auf die Uhr. Die Geschäfte hatten noch offen – wo gab es in dieser Stadt einen Parfümzerstäuber zu kaufen?

© P. Warmann