Tortenwellen.

Es klingelte an meiner Tür. Ich ging, um aufzumachen – es war Ulla, meine Freundin, ich hatte sie schon erwartet. Sie schnupperte. „Du hast Mehl an der Schürze, und es riecht lecker – bist du am backen?“
„Na ja“, sagte ich etwas verlegen, „Alex ist hier und wir probieren ein paar Sachen aus...“
„Alex sollte die Finger von Experimenten mit Lebensmitteln lassen“, sagte Ulla bestimmt. „Ich erinnere mich nur mit Schaudern an das zahnpflegende Kaugummi!“
„Ich hatte dir gesagt, dass es noch im Versuchsstadium ist“, warf Alex ein, der aus der Küche aufgetaucht war.
„Ja, stimmt“, sagte sie, „aber trotzdem war es ein gruseliges Gefühl, wie es in meinem Mund herumwuselte, um die Zähne zu reinigen. Und dann wollte es sich nicht ausspucken lassen und hat sich an den Zähnen festgeklammert! Alex, auf solche Experimente kann ich verzichten.“
„In der neuen Version sind diese Fehler behoben“, sagte Alex fröhlich. „Nächste Woche gebe ich sie dir, dann kannst du sie ausprobieren.“
Ulla verdrehte die Augen. Ich nahm sie am Arm und lotste sie in die Küche, bevor sie Alex erklären konnte, was sie von seiner Idee hielt. Wenn er begeistert an einer neuen Erfindung bastelt, ist er sowieso durch nichts zu stoppen.

„Diesmal haben wir uns auf essbare Experimente beschränkt, und ich garantiere dir, sie sind lecker und harmlos“, sagte ich zu Ulla. „Warte nur, bis du unsere Sesambrötchen siehst.“
Ich nahm eines davon und legte es vor ihr auf ein Frühstücksbrett.
„Sieht essbar aus“, gab sie zu, „und man sieht sofort, dass es ein Sesambrötchen sein muss: Schließlich ist es mit Mohn bestreut.“
„Es heißt nicht Sesambrötchen, weil Sesam drin wäre, sondern weil...“ Ich griff mir ein Tafelmesser. „Sesam, öffne dich!“ sprach ich feierlich, schlug mit dem Messer auf das Brötchen, und es zerfiel widerstandslos in eine obere und eine untere Hälfte.
„Ui!“ rief Ulla. „Nicht ein Krümel! Das gefällt mir.“
„Fein, nicht? Den Spruch kannst du natürlich auch weglassen.“

Alex hatte inzwischen etwas von der Fensterbank genommen und stellte es vor sie auf den Tisch.
„Du wolltest doch einen Kaktus, der nicht piekt“, sagte er. „Ich habe deinen Wunsch an meine Schwester weitergegeben, und hier ist er.“
Ulla beäugte misstrauisch die eingetopfte Pflanze. „Alex, er ist sehr hübsch, aber stacheliger als der hier kann ein Kaktus kaum sein. Oder sind die Stacheln etwa weich? Autsch ... nein.“
„Nein, du musst gegen den Topf klopfen“ – Alex demonstrierte es – „dann zieht er seine Stacheln ein. Siehst du? Jetzt kannst du ihn gefahrlos in die Hand nehmen.“
„Danke, Alex“, sagte Ulla vorsichtig und sah dem Kaktus zu, der langsam seine Stacheln wieder ausfuhr.

„Womit beschäftigt sich deine Schwester denn sonst so im Moment?“ fragte ich Alex.
„Ach, wie du weißt, ist im Augenblick Mini-Gemüse sehr gefragt, also hat sie versucht, besonders kleine Kugelrettiche zu ziehen. Aber weil die Gärtnerei auf einem ehemaligen Waffenerprobungsgelände liegt, macht ihr das morphogenetische Feld immer wieder zu schaffen. Die Kugelrettiche haben einen Durchmesser von exakt 4.5 Millimetern – das ist zwar genau das richtige Kaliber, um sie mit einem Luftgewehr zu verschießen, aber...“ Er schüttelte den Kopf. „Aber zeige Ulla doch jetzt endlich unser Prunkstück.“
Ich grinste und ging zum Kühlschrank.

„Dies ist eine Donauwellen-Torte“, sagte ich, als ich die Platte mit dem Kuchen abstellte. „Das Rezept ist klassisch, aber in der Sahne ist eine besondere Zutat. Wir müssen einen Augenblick warten, bis sich die Torte etwas anwärmt – ah, jetzt geht es los.“
Langsam kam Bewegung in die Torte, und eine Welle begann durch die Sahne zu laufen. Sie wanderte rundum, und während die Torte Zimmertemperatur annahm, wurde die Welle höher und kräftiger.
Ulla lachte. „La Ola in der Sahne! Alex, wie hast du das gemacht?“
„Es fing damit an, dass ich versucht habe, einen selbst-wackelnden Wackelpudding zu entwickeln“, begann Alex zu erklären.
Ulla grinste. „Ja, das ist eine Erfindung, auf die die Menschheit schon lange gewartet hat.“
„Genau“, fuhr Alex fort. „Es war eigentlich ganz einfach: Ich musste nur einen elektrophoretischen Effekt ausnutzen, um die Gelatine im Pudding abwechselnd quellen und schrumpfen zu lassen. Das gibt dann eine sich selbst erhaltende oszillierende Reaktion, und das Ergebnis siehst du hier. Nachdem es mit dem Wackelpudding so gut geklappt hatte, dachte ich, man könnte es auch mit Sahnesteif versuchen, und siehe da, es funktioniert.“
„Perfekt für die moderne Event-Küche“, sagte Ulla leicht ironisch. „Übrigens, was geschieht, wenn ich die Torte esse? Schwappt die Welle dann in meinem Magen weiter?“
„Nein, daran habe ich gedacht“, antwortete Alex stolz. „Bei einer Temperatur über 32° C zersetzt sich die Erregersubstanz zu gewöhnlicher Gelatine. Diese Temperatur wird schon im Mund erreicht.“

„Wie schön“, sagte Ulla und betrachtete weiter, wie die Welle durch die Sahne kreiste. Sie hatte inzwischen eine Höhe von drei Zentimetern erreicht. Alex runzelte die Stirn.
„Ich weiß nicht, das ist merkwürdig“, sagte er beunruhigt. „Es sieht so aus, als wenn sich da ein Resonanzeffekt aufbaut...“
Ich starrte auf die Torte, wo die Sahnewelle jetzt schnell anwuchs, sich höher auftürmte, und höher... „In Deckung!“ schrie ich und tauchte unter den Tisch ab. Ulla sprang zurück, gerade als die Welle sich noch einmal gewaltig auftürmte, nach vorne schwappte und auf den Tisch klatschte. Sahne spritzte durch die ganze Küche.
„Offensichtlich ein Soliton-Effekt“, sagte Alex und wischte sich geistesabwesend Sahne aus dem Gesicht. „Möglicherweise verursacht durch die Form der Tortenplatte? Das muss ich überprüfen...“
„Ja“, sagte ich, „aber nicht jetzt. Ulla, würdest du bitte den Eimer und die Wischtücher holen? Danke. Übrigens, du hast Sahne an der Nase. Und Alex, danke, dass du uns beim Saubermachen der Küche helfen willst, wir nehmen dein Angebot gerne an.“
Er schreckte hoch. „Ich könnte einen automatischen Wischlappen...“, setzte er an, aber ich unterbrach ihn: „Nein, das machen wir ganz altmodisch von Hand. Danach gibt es Kaffee, dann mache ich noch einen gewöhnlichen Belag für die Torte, und ich will heute nichts mehr von deinen Experimenten hören. Jetzt nimm den Lappen und fange da drüben an.“

© P. Warmann