Die Erfindermesse.

„Die Erfindermesse steht dieses Jahr unter dem Motto ’Von der Natur lernen – alte Materialien, neue Lösungen‘“, sagte Alex. „Ich dachte mir gleich, das würde dich interessieren.“
„Oh ja, auf jeden Fall“, sagte ich, während wir die erste Messehalle betraten. „Stellst du hier auch irgend etwas aus?“
„Nein, diesmal nicht. Ich habe keine Sachen in Arbeit, die zu dem Thema passen würden, und außerdem hat mich diese nervige Geschichte drüben in den USA in Atem gehalten. Aber was die Messe angeht, haben sie mich diesmal in die Jury geholt. Es gibt einen Preis für die beste innovative Erfindung.“
„Oh, gratuliere zu der hohen Ehre“, sagte ich. „Und wie ist der Prozess in den USA gelaufen?“
„Es gab keinen“, antwortete Alex trocken. „Du erinnerst dich doch, dass ich die US-Lokalisierung für den Phrasenabzug von einer großen Firma in Seattle habe machen lassen – und dann fiel mir plötzlich auf, dass sie offensichtlich meine Algorithmen benutzt haben, um Reden für den US-Präsidenten zu generieren. Das war das reinste Phrasenlego, alles auf Basis meines Programms, und zudem noch resistent gegen den Phrasenabzug: Die kompletten Reden gingen ungefiltert durch.“ Er grinste. „Allerdings habe ich es geschafft, ihnen Patentrechtsverletzungen nachzuweisen ... und daraufhin haben sie sich mit mir außergerichtlich geeinigt.“
„Dann haben sie dir Geld geboten? Hast du ihr Angebot angenommen?“
Er grinste noch breiter. „Oh ja, das habe ich, und sie haben prompt bezahlt. Nur meine Bank hatte leichte Probleme, auf meinem Kontoauszug die ganzen Nullen unterzubringen.“

Ich sah mich in der Halle um. Unter der Decke hing ein großes Transparent. Es verkündete: ?Halle A – Neue Materialien, von der Natur inspiriert'. Alex zog mich zu einem der Stände.
„Grasbecher?“ fragte ich. „Ich nehme mal an, das ist kein Schreibfehler?“
„Nein, ist es nicht“, sagte der junge Mann, der an dem Stand stand. „Hier, sehen Sie: aus naturgewachsenen Halmen in acht Schichten geflochten, dauerhaft wasserdicht, federleicht, bruchsicher...“
„... und grün“, ergänzte ich. „In anderen Farben gibt es sie wohl nicht?“
„Äh, nein, aber das liegt in der Natur der Sache.“
Ich griff nach dem Becher, den er mir hinhielt. Wenn man davon absah, dass Grasgrün nicht eben meine Lieblingsfarbe ist, gefiel er mir: Er war wirklich sehr fein geflochten, lag gut in der Hand, und – ich probierte es aus – es trank sich auch sehr angenehm daraus.
„Wie haltbar sind die?“ fragte ich.
„Bruchsicher, dauerelastisch und praktisch unverwüstlich“, war die Antwort. „Hm ... das heißt, solange Sie kein Zwergkaninchen haben.“
Ich warf einen Blick auf das Preisschild, überlegte kurz und kaufte dann zwei der Becher.

Wir gingen weiter durch die Halle. Am nächsten Stand gab es rutschfeste Badelatschen, von Entenfüßen inspiriert.
„Eigentlich eine gute Idee, das Material ist genial“, sagte Alex. als wir weitergingen. „Allerdings hätten sie für die Schuhe nicht auch noch die Form übernehmen müssen.“
Wir schlenderten weiter. „Was gibt es hier? Quallenseife?“ fragte ich ziemlich fassungslos. „Alex, was um alles in der Welt ist das? Das heißt, nein, erkläre es mir nicht, ich will es gar nicht wissen.“
Kopfschüttelnd gingen wir weiter, vorbei an Brotkästen – womit nicht der Inhalt gemeint war, sondern das Material – und aus Zwiebelhäuten hergestellten Display-Schutzfolien.
„Die sind hauchdünn und sehr haltbar“, bemerkte Alex, „aber ehrlich gesagt stört mich der Geruch.“

Inzwischen hatten wir den hinteren Teil der Halle erreicht, wo es hauptsächlich um Textilien ging. Ich überlegte ernsthaft, mir die flauschigen Hauspantoffeln zu kaufen, ?mit lautlosem Tritt nach dem Eulenfedern-Prinzip', aber dann fiel mir meine Katze ein. Sie hätte sie in Sekundenschnelle zerlegt.
Dann sah ich den Pullover, und er gefiel mir sofort. Er war aus besonders dünner Wolle gestrickt, in einem gedämpften Rot mit Streifen in verschiedenen erdigen Gelbtönen, nicht aufdringlich, offensichtlich Naturfarben.
„Er erinnert mich an Helgoland“, sagte ich nachdenklich zu Alex.
„Sehr gut beobachtet“, sagte die Frau hinter dem Tresen und strahlte. „Ja, dieser Pullover ist wirklich aus Helgoländer Buntsandstein. Alle unsere Strickwaren sind aus reiner asbestfreier Steinwolle, zur Wahl stehen zum Beispiel auch Carrara-Marmor und Bornholmer Granit. Kleidung aus Steinwolle ist unverwüstlich, unbegrenzt farbecht, jederzeit feucht abwischbar, hundertprozentig vegan und feuerfest. Hier, fühlen Sie mal.“
Ich griff nach dem Ärmel des Pullovers, den sie mir entgegenhielt. Ja, er fühlte sich wirklich fast wie Wolle an, aber... „Die Wolle ist aus Stein gesponnen?“ fragte ich. „Und was wiegt so ein Pullover?“
Ihr Lächeln wurde noch strahlender. „Oh, mit der neuen extrafeinen Wolle nicht mehr als 2,8 Kilogramm.“
„Danke“, sagte ich. Sie hatte mir soeben die Entscheidung abgenommen, ob ich nach dem Preis fragen sollte.
Als wir weitergingen, meinte Alex: „Die Dinger sind übrigens nicht nur feuerfest, sondern auch schusssicher.“
„Ja, das ist fein“, sagte ich, „aber, Alex, wie du weißt, bin ich Konditor, und in dem Beruf kommt es eher selten vor, dass man beschossen wird.“
Alex lachte und zog mich zum Ausgang. „Hier draußen geht es um Landwirtschaft und Garten, lass uns sehen, was wir da finden“, sagte er.

Wir traten durch die Tür, und ... „Was ist denn hier...“, fing ich an, aber der Rest ging in Husten unter. Alex hustete auch. Wir waren direkt in eine dicke schwarze Rauchwolke geraten.
Zum Glück war die Wolke nicht groß. Ein paar Schritte brachten uns aus ihr heraus, und wir sahen zu, wie sie vom Winde verweht wurde.
„Was war das denn?“ fragte ich Alex.
„Oh, anscheinend sind wir in einen Vulkanausbruch geraten.“ Er sah mein verdutztes Gesicht und erklärte: „Ein Gartenvulkan. Die sind gerade groß in Mode. Etwa kniehoch, brechen regelmäßig aus ... die Asche ist ein guter Dünger, aber die Dinger sind wohl eher etwas für größere Gärten.“
Dann entdeckte er etwas und zog mich in die entsprechende Richtung. „Sieh mal, die haben hier Planierraupen!“
Einige Quadratmeter Gartenerde waren von einem niedrigen Zaun aus Plastikfolie eingegrenzt. Auf der Erde war eine Reihe leuchtend gelber Raupen in breiter Front an der Arbeit. Ich konnte nicht genau sehen, was sie taten, aber sie bewegten sich langsam voran, und hinter ihnen blieb die Erde perfekt eingeebnet zurück.
„Meine Schwester benutzt sie, um Rasenstücke nach der Aussaat zu planieren, oder um Gartenwege vorzubereiten. Man muss die Raupen nur regelmäßig füttern, dann arbeiten sie sehr zuverlässig“, erklärte Alex.
„Ja, und dies hier ist die neue Generation“, bemerkte der Mann, der das Raupenbeet beaufsichtigte. „Dank Glühwürmchenenzymen haben sie jetzt ein Schwanzlicht und arbeiten rund um die Uhr. Und was noch besser ist: Wenn sie sich verpuppen, schlüpfen von Licht umkreiste Motten. Die liefern Ihnen eine erstklassige Lichtshow, wenn sie abends in den Bäumen sitzen. Übrigens, wir arbeiten gerade an der Zucht von Motten mit einem Farbwechsel-Effekt.“
„Davon muss ich unbedingt meiner Schwester erzählen“, sagte Alex und griff sich ein Prospekt.

Während ich noch über farbwechselnde Leuchtmotten nachdachte, steuerte Alex schon die nächste Halle an. Hier ging es um Technik und Sensoren, und Alex bemühte sich, mir alles zu erklären, aber schon nach ein paar Minuten schwirrte mir der Kopf.
Alex, dachte ich, es ist zwar wahrscheinlich wirklich hochinteressant, dass diese Schaltung von den Nervenverbindungen abgeleitet ist, mit denen Schneckenfühler arbeiten, aber muss man daraus unbedingt einen Keksback-Sensor bauen, der ein Signal ans Smartphone sendet, wenn die Kekse fertig sind? Ich sehe dazu einfach in den Backofen...
Alex sah mich an. „Tut mir leid, dass ich dich mit diesem technischen Kram vollquatsche“, sagte er. „Aber eine Sache muss ich dir zeigen, und du wirst begeistert sein, das verspreche ich dir.“
Er führte mich zu dem entsprechenden Stand. „Diese Erfindung bekommt von mir die volle Punktzahl“, sagte er leise. „Die Abschleppfliege!“
Auf Alex' Bitte erklärte der noch ziemlich junge Erfinder mir seine Erfindung. „Sie haben sich sicher schon darüber geärgert, wenn sich Insekten in Ihre Wohnung verirrten und nicht wieder hinausfanden. Was macht man dann? Mit der Fliegenklatsche hinterherjagen? Oder giftiges Insektenspray versprühen? Genau dafür gibt es jetzt die Abschleppfliege.“ Er zeigte auf das winzige Gerät, das eher wie eine sehr kleine Libelle aussah. „Normalerweise sitzt sie auf der Fensterbank und lädt über Solarzellen ihren Akku. Sobald aber ein Insekt ins Zimmer kommt, startet sie selbständig, ergreift es und trägt es durch den Fensterspalt nach draußen, wo sie es in einigen Metern Entfernung freigibt. Dabei wird sie selbst mit den größten Brummern und sogar mit Hummeln fertig.“
Ich war begeistert. „Das muss ich haben! Wo kann man Ihre Abschleppfliege kaufen?“
„Leider existiert erst ein Prototyp, ich suche noch nach Partnern für Produktion und Vermarktung. Übrigens arbeite ich an einem erweiterten Modell, das sich nachts mittels Radar orientiert und auch mit großen Nachtfaltern fertig wird.“
„Also, mich überzeugt Ihre Erfindung“, sagte Alex. „Und wenn sie einen finanzkräftigen Partner suchen, ich hätte eine größere Summe anzulegen...“

© P. Warmann