Kontaktlinsen sind in Wirklichkeit Lebewesen. Ihr natürlicher Lebensraum
ist das Meer. Deshalb sind sie auch durchsichtig es ist ihre Art,
sich vor ihren Feinden unsichtbar zu machen. Sie werden von Spezialschiffen
mit Netzen aus Mikrofasern gefischt. Das ist eine außerordentlich
diffizile Sache, denn sie dürfen beim Fang nicht beschädigt
werden. Nach dem Fischen werden sie noch an Bord sortiert, zuerst nach
Arten, dann innerhalb der Arten nach der Brennweite. Diese ist angeboren.
Alle Arten von Linsen (harte, weiche, hochdurchlässige) sind miteinander
verwandt, gehören aber unterschiedlichen Arten an, die sich auch
untereinander nicht kreuzen. Zu junge, unreife, aber auch zu alte, schon
getrübte Linsen werden sofort wieder ins Meer entlassen.
Von jetzt an ist es ratsam, die Linsen in getrennten Kammern aufzubewahren,
denn wenn sie zusammen gehalten werden, bilden sich leicht Paare, die
sich nur schwer voneinander trennen lassen (was auch nicht sehr höflich
wäre). Kontaktlinsen sind ziemlich intelligent, vor allem aber äußerst
neugierig. Daher haben sie nichts dagegen, sich als Sehhilfen einsetzen
zu lassen, denn wie könnten sie mehr von der Welt sehen als im Auge
eines Menschen? Noch dazu an einer Stelle, wo auf sie Acht gegeben wird
wie auf den eigenen Augapfel.
Sie leben dort unter optimalen Bedingungen, was Temperatur und Salzgehalt
betrifft. Die Linsen ernähren sich zum Teil von der Nährlösung,
in der sie die Nacht verbringen, ziehen aber einige Stoffe auch aus dem
Auge ihres Trägers. Das ist kein Grund zur Besorgnis, sie entnehmen
nur winzige Mengen, die der Körper nicht vermisst. Man muss allerdings
darauf achten, sie gut zu pflegen. Sie können mechanische Beschädigungen
(Kratzer, Risse, Trübungen) nicht selbst ausgleichen. Noch wichtiger
ist es, für ihre Gesundheit zu sorgen. Durch schlechte Ernährung
(zu selten gewechselte Nährflüssigkeit) und mangelnde Körperpflege
werden sie leicht krank. Das ist auch für den Träger gefährlich,
da sie das Auge anstecken und zu einer Entzündung führen können.
Bei guter Pflege bleiben sie aber jahrelang in allerbestem Zustand und
machen ihrem Träger viel Freude.
Ihre einzige etwas heikle Angewohnheit ist, dass sie bei Kontakt mit Wasser
leicht übermütig werden. Sie verlassen dann ihr heimisches Auge
und schwimmen davon. Meist tut ihnen das schon nach kurzer Zeit leid,
da sie in Schwimmbecken oder Abflüssen nicht leben können. Sie
versuchen dann zu ihrem Träger zurückzufinden, schaffen es aber
leider meist nicht.
So gut man Kontaktlinsen auch pflegt, spätestens nach einigen Jahren
sollte man sie auswechseln. In diesem Falle wirft man sie natürlich
nicht einfach in den Müll. Das wäre Mord an einem Wesen, das
dem Menschen wirklich nur Gutes tut. Geben Sie Ihre Kontaktlinsen statt
dessen an Ihren Augenarzt oder Optiker zurück. Dieser sorgt dafür,
dass sie bei der nächsten Fangreise wieder dort ausgesetzt werden,
wo sie einst aufgefischt wurden. Somit kehren sie zu ihren Verwandten
zurück, paaren sich und sorgen so für die Erhaltung der Art.
Übrigens sind die Fänge von Jahr zu Jahr reichlicher, weil die
zurückgekehrten Linsen die anderen ermuntern, sich auch auffischen
zu lassen und ähnliche Abenteuer zu erleben.
© P. Warmann