Hexerei im Spielklub.

„Die Hexe ist da“, sagte ich. Der Typ, den der Chef abgestellt hatte, um ihr auf die Finger zu sehen, während sie ihren Job machte – und mir auch, was das anging –, nickte. Er lehnte mit verschränkten Armmen an der Wand, und meine Ankündigung hatte ihn offensichtlich nicht aus der Ruhe gebracht. Normalerweise arbeitete er wohl als Kartengeber in diesem Laden, einem illegalen Spielklub, der nach außen hin durch einen Feinkostladen mit angeschlossenem Restaurant getarnt wurde.
Er war groß und noch ziemlich jung, hatte die Haare zu einem ordentlichen Zopf gebunden, trug ein weißes Hemd und einen von diesen schwarzen Anzügen, bei denen das Jackett keinen echten Kragen hat, wie auch immer die Dinger heißen mögen. Damit passte er nahtlos in das Ambiente dieses ziemlich exklusiven Klubs, das sich hauptsächlich durch viel Edelholzfurnier und Messingbeschläge auszeichnete. Soweit ich wusste, hieß er Roger.
Hinter mir flatterte die Hexe herein. Sie war mittelalt – bei Hexen ist das Alter schwer zu schätzen – und trug die hexenüblichen Flatterklamotten in lavendel und weiß. Bei sich hatte sie einen umgebauten Picknickkorb, in dem sie offensichtlich ihre magischen Utensilien verstaut hatte. Sie stellte ihn auf einen der Tische und verkündete: „Ich brauche in der Mitte des Raumes so viel Platz wie möglich.“ Also machten Roger und ich uns daran, die Tische zur Seite zu schieben. Während dessen holte sie ihren restlichen Kram aus dem Auto und fing an, vier Feuerschalen auf hohen Dreifüßen in den vier Himmelsrichtungen aufzubauen.
Ich sprach Roger an: „Was war denn nun gestern hier los, dass ihr eine Hexe braucht, um die Sache wieder geradezubiegen? Magische Turbulenzen?“
„Ich nehme an, es war sowas in der Art“, antwortete er ruhig. „Im Gegensatz zu dir kann ich Magie nicht fühlen. Anscheinend hat mal wieder jemand versucht, seinem Kartenglück mit etwas Magie nachzuhelfen.“
„Und der Schutzzauber hat das nicht verhindert?“
„Hm, ja und nein. Er hat es wohl abgebogen, aber ist dabei selbst beschädigt worden. Jedenfalls waren die Karten plötzlich bei allen Gebern ganz seltsam geordnet, und ich glaube nicht, dass der Typ das so geplant hatte. Ich meine, erst alle Herzkarten schön säuberlich in aufsteigender Reihenfolge, dann Karo, dann Kreuz – wem nützt das? Und egal, wie oft wir gemischt haben, es kam immer so eine komische Ordnung dabei heraus. Wir mussten den Laden schließen, und der Chef hat heute Morgen gleich eine Hexe engagiert.“ Er sah mich schräg von der Seite an. „Was sagst du? Ist es der Schutzzauber?“
Ich schloss kurz die Augen und konzentrierte mich. „Ja“, sagte ich dann, „der Zauber ist offensichtlich verändert. Was hat die Hexe vor? Will sie ihn reparieren?“ Wovon ich ihr abgeraten hätte, denn es ist nie eine gute Idee, an einem beschädigten Zauber noch herumzuoperieren.
„Nein, sie will ihn auflösen und ganz neu anlegen. Sag mal, warum übernimmst du das eigentlich nicht? Du bist doch auch so eine Art Magier, warum müssen wir jemanden Außenstehenden holen?“
„Die Hexenorden würden es nicht mögen, wenn ich mich in ihre Geschäfte mische“, sagte ich trocken. „Ich möchte nicht mehr Ärger mit denen, als ich sowieso schon habe.“

Die Hexe hatte inzwischen ihre Feuerschalen ausgerichtet und begann sie mit Holzkohle zu füllen. Ich machte mich daran, ihr zu helfen, nicht, weil meine gute Erziehung das verlangte, sondern weil ich diese Sache so schnell wie möglich hinter mich bringen wollte. Immerhin verwendete sie Schnellbrand-Holzkohle; so stieg mir nach dem Anzünden zwar der scharfe Geruch von Salpeter in die Nase, aber zumindest würden wir nicht stundenlang warten müssen, bis die Kohle durchgeglüht war.
Ich half ihr, die Kohlenstücke zu wenden, und dann begann sie das Räucherwerk auszupacken. „Weihrauch für den Osten!“ verkündete sie und warf ihn in die entsprechende Schale. Weißer Rauch stieg auf. „Wacholderbeeren für den Norden!“ und eine Handvoll davon landete auf den Kohlen. Wacholder? Unorthodox, aber warum nicht... Es folgten „Salbei für den Westen!“ – eine gute Wahl, wie ich fand – und „Teufelsdreck für den Süden!“
Oh. Ich versuchte dem Rauch auszuweichen, der von den braunen Krümeln aufstieg, denn Teufelsdreck hat seinen Namen davon, dass er wirklich höllisch stinkt, aber die zusammengeschobenen Tische waren mir im Weg. Der Rauch stieg mir in die Nase, und ... hm. Teufelsdreck war das nicht. Der Geruch war nicht gerade angenehm, aber immerhin erträglich, und er kam mir bekannt vor. Schuhcreme? Für eine Anrufung? Naja, zumindest angenehmer als das Original, und natürlich auch lange nicht so teuer...

Ich ging zurück zu Roger, der immer noch an der Wand lehnte und dem Treiben interessiert zusah. „Dauert die Geschichte länger?“ fragte er. „Davon kannst du ausgehen“, sagte ich, und er setzte sich an einen der Tische, nahm zwei nagelneue Päckchen Pokerkarten aus der Schublade und begann damit eine Patience zu legen. Ich sah der Hexe bei ihren weiteren Bemühungen zu. Sie tat das, was Hexen bei solchen Zeremonien gemeinhin so tun. Zuerst wandte sie sich nach Osten, sprach mit dramatischer Stimme: „Ich rufe den gelben Drachen des Ostens!“ und begann dann mit einer langen, wortreichen Anrufung. Ich ging mir erst einmal eine Bitter Lemon holen.

Als ich mit der Limo zurückkam, war sie mit dem Osten gerade durch. Jetzt war der Süden dran. Sie legte noch etwas Schuhcreme nach und sprach: „Ich rufe die grüne Hyäne des Südens!“
Ich zuckte zusammen. „Die grüne was? Was ist denn das für eine Mythologie?“ Das trug mir einen scharfen Blick von der Hexe ein, aber sie machte unbeirrt mit ihrer Anrufung weiter.
„Die Welt ist eine Gurke“, sagte Roger philosophisch. „Sie ist krumm, aber sie ist immerhin auch grün.“
„Wenn schon grün, dann besser eine Gurke als eine Hyäne“, stimmte ich ihm zu.
Er nickte weise. „Besonders in einem Sandwich.“
Ich dachte kurz über ein Hyänensandwich nach, dann gab ich ihm Recht.
Roger runzelte die Stirn und schob die Karten seiner Patience zusammen – offensichtlich war sie nicht aufgegangen – gerade als die Hexe sich dem Westen zuwandte. Diesmal hieß es „Ich rufe den blauen Kojoten des Westens!“
„Wieso ist der Kojote blau?“ fragte Roger.
„Vermutlich zu viel vergorener Agavensaft.“
Er nickt. „Das ist plausibel.“ Dann fragte er nachdenklich: „Was glaubst du, welches Viech hat sie für den Norden vorgesehen?“
„Einen Lemming“, vermutete ich.
„Du bist unernst. Ich würde sagen, einen Elch.“
Ich nahm noch einen Schluck Bitter Lemon und zuckte mit den Schultern.
Sie lieferte uns die Auflösung. Noch mehr Wacholderbeeren, dann: „Ich rufe die weiße Eule des Nordens!“
Ich verschluckte mich an meiner Bitter Lemon und stieß hervor: „Niemand ruft freiwillig die weiße Eule!“
Sie wandte sich mir zu. „Doch nicht die weiße Eule; das hier ist die weiße Eule des Nordens ... und außerdem ist das rein symbolisch.“
Ich schüttelte den Kopf. „Ich möchte der weißen Eule nicht begegnen, nicht einmal rein symbolisch.“
„Was hast du gegen Eulen?“ fragte Roger. „Bubophobie?“
„Ich habe absolut nichts gegen Eulen“, sagte ich langsam. „Auch nicht gegen weiße Eulen aus dem Norden. Aber die weiße Eule ist der Tod.“ Ich sah ihn an. „Ich weiß nämlich, was das Geheimnis eines langen Lebens ist.“
„Und zwar?“
„Immer da zu sein, wo der Tod gerade nicht ist.“

Die Hexe war inzwischen mit ihrer letzten Anrufung fertig geworden, trat jetzt in die Mitte der freien Fläche, hob die Arme zum Himmel – das heißt, zur Decke – und deklamierte feierlich: „Tussilago farfara, Juglans regia, Anethum graveolis!“
„Das heißt ‘graveolens’“, murmelte ich.
„Verstehst du das? Ist das Latein? Was sagt sie?“ wollte Roger wissen.
„Huflattich, Walnuss und Dill“, übersetzte ich. Er starrte mich an. „Das sind die botanischen Namen von Huflattich, Walnuss und Dill“, bestätigte ich. „Und jetzt sagt sie ... ‘er stammt aus dem Orient, angebaut wird er in vielen Ländern, seine Blätter sind sehr schmal’. Klingt, als wenn sie immer noch den Dill meint. Wahrscheinllch zitiert sie aus einem alten Kräuterbuch.“
Roger runzelte die Stirn. „Du meinst, das ist einfach nur eine Show? Mit Magie hat das überhaupt nichts zu tun?“
Ich nickte. „Ja, aber sieh das einmal so: Wenn du dir einen fiesen Fluch einfängst oder eine Heimsuchung oder etwas wie das hier und du rufst eine Hexe, damit sie das ausbügelt – möchtest du dann, dass sie reinkommt, vier Worte sagt und eine Handbewegung macht und dir dann erklärt, die Angelegenheit wäre erledigt? Du würdest dir vorkommen, als wenn sie die Sache nicht ernst nimmt. Nein, du erwartest, dass sie zumindest eine Viertelstunde mit brennenden Kräutern wedelt und dazu unverständliche Worte murmelt. Also ziehen die Hexen ihre Show ab, und irgendwann dazwischen erledigen sie die Magie, und alle sind zufrieden. Zumindest sieht es für dich so aus, als hätte sie etwas getan für ihr Geld.“
„Wenn die Show wenigstens gut wäre...“ murmelte er und widmete sich wieder seiner Patience.

Unsere Hexe war inzwischen zu dem Teil mit den brennenden Kräutern übergegangen. Mit einem kokelnden Kräutersträußchen schritt sie um den Raum, immer noch lateinische Worte murmelnd. Als sie bei uns vorbeikam und Asche auf Rogers Karten krümelte, hörte ich sie etwas über die Anwendung von Dill und Fenchelsamen bei Verdauungsstörungen murmeln. Offensichtlich hatte sie das Kapitel über den Dill auswendig gelernt.

Nachdem auch dieser Teil der Zeremonie vorüber war, verkündete sie: „Ich werde jetzt damit beginnen, den Schutzzauber aufzuheben.“
„Wurde auch Zeit“, meinte Roger und trug sich dafür einen bösen Blick ein. Dann begann sie, auf dem Fußboden ein Diagramm zu zeichnen. „Hey, seien Sie vorsichtig!“ rief Roger. „Das ist Parkett, das ist empfindlich!“
„Deshalb nehme ich ja auch Kreide“, sagte sie und zeichnete weiter. Offensichtlich konstruierte sie das Diagramm nach einer Vorlage aus einem Ringordner, der neben ihr auf dem Boden lag.
„Komm schon“, murmelte ich ungeduldig, „alles, was du brauchst, sind eine Glyphe der Auflösung und ein oder zwei Öffnungsrunen, und eine Dreifache Schlinge zur Erdung. Die ganzen Schnörkel kannst du weglassen.“
Sie sah das aber augenscheinlich nicht so und malte das Diagramm sorgfältig genau nach der Vorlage ab. Als sie endlich fertig war, begann sie ihre Magie zu wirken. Ja, dachte ich, als ich ihr zusah, wie sie ihre Hand über die Linien des Diagramms bewegte und dazu unaufhörlich den Lösespruch wiederholte, du machst das genau so, wie du es in der Hexenakademie gelernt hast, nicht wahr? Der Standard-Auflösungsspruch. Nur ist dies kein Standardproblem, was du spätestens dann merken wirst, wenn es anfängt zu haken, weil der ursprüngliche Schutzspruch gewaltsam verändert wurde. Aber das ist nicht mein Problem. Ich trank die Bitter Lemon aus und brachte die leere Flasche hinter die Bar.

Als ich zurückkam, war sie immer noch am zaubern, obwohl sie die Stärke ihrer Magie inzwischen deutlich hochgefahren hatte, so, wie es sich anfühlte.
Roger starrte nachdenklich auf seine Patience. „Ich fürchte, sie wird nicht aufgehen“, sagte er. Ich sah zu ihm hinüber. „Nein, ich bräuchte eine rote Sechs oder eine schwarze Acht, und alles, was ich bekomme, ist eine Schweinchen-Dreizehn.“
Was?“ Ich starrte auf seine Patience, und er drehte die oberste Karte des Stapels um. Dreizehn lustige kleine Schweinchen mit grünen Schleifen um den Hals tummelten sich auf der Karte ... oder nein, es waren nur elf, obwohl eine 13 in der Ecke der Karte stand.
„Da fehlen zwei“, sagte ich, obwohl das nicht das eigentliche Problem war.
„Ja, die sind kurz nebenan“, sagte Roger ungerührt und deckte die nächste Karte auf. Es war die Kreuz-Fünf ... plus der fehlenden beiden Schweinchen.
„Was zum Henker...“, begann ich, aber Roger unterbrach: „Und die Pik-Dame hätte mich fast gebissen. Ich halte sie für gemeingefährlich, ehrlich gesagt.“
Er legte eine der Karten aus der Auslage beiseite, und darunter kam die Pik-Dame zum Vorschein. Sie sah mich aus silbern schimmernden Augen an, und dann öffnete sie langsam den Mund und zeigt zwei spitze Zähne wie bei einer Vampir-Fledermaus.
Ich sprang auf. „Verdammt“, rief ich, „wir haben Interferenzen! Hier baut sich eine Resonanz auf...“, und dann hielt ich die Klappe und riss Roger zu Boden und warf einen Schutzzauber über uns, den die ganze Geschichte ging hoch.
Es war keine wirklich brutale magische Explosion, und das Schutznetz hielt, also bekam keiner von uns etwas ab. Es ging über uns wie eine lautlose Explosion und ein Blinken von tausend Spiegeln, und der Raum schüttelte sich wie ein Wackelpudding. Dann war es vorüber.
Ich stand auf. Roger kam ebenfalls auf die Beine und klopfte sich den Staub von seiner eleganten Hose. „Was um alles in der Welt war das?“ fragte er, leicht erschüttert.
Ich marschierte auf die Hexe zu, die immer noch mitten im Raum stand, in inzwischen ziemlich zerfledderten Klamotten. Sie schien aber unverletzt zu sein.
„Was das war?“ rief ich einigermaßen wütend. „Das war eine erstklassige magische Flux-Rückkopplung. Offensichtlich hat Ihr Standard-Auflösungszauber nicht ausgereicht, und anstatt ihn anzupassen, haben Sie einfach nur mehr Stoff gegeben, und das hat den defekten Zauber gesprengt. Eine Menge wilde Magie wurde frei, und weil“ – ich warf einen Blick auf das Diagramm auf dem Boden – „Sie die Dreifache Schlinge so schlecht gezeichnet hatten, dass sie keine Erdung bewirken konnte, ist die ganze Wirkung in den Raum geflossen. Und was hat sie angerichtet? Oh...“
Ich musste nur einen Blick auf das Parkett werfen, dann sah ich es. Überall, in jedem Parkettriegel, und auch überall sonst im Raum, waren die vier Kartensymbole eingeätzt, Herz, Karo, Kreuz und Pik, in den Messingbeschlägen der Bar, dem Holz der Täfelung, sogar auf die Vorhänge und die Stuhlbezüge waren sie eingestickt. Und dazwischen, hier und dort, auch Hyänen, Kojoten und Eulen – aber keine Drachen, seltsamerweise.
„Na großartig“, sagte Roger. „Da ist eine Totalrenovierung fällig. Oh, das wird den Chef aber freuen. Obwohl, die Kartensymbole passen ja eigentlich zum Klub, vielleicht können wir es so lassen. Trotzdem, das wird noch lustig, wenn er das hier sieht.“
„Viel Spaß“, sagte ich, und zu der Hexe: „Sie packen jetzt Ihre Sachen, und dann auf Wiedersehen – oder besser nicht.“
„Aber ich muss doch noch den Schutzzauber erneuern...“, begann sie, aber ich unterbrach. „Nein, müssen Sie nicht, das mache ich.“ Ich schloss die Augen, konzentrierte mich und wob einen Kreis. Dann zeichnete ich eine Schutzglyphe und Runen der Bindung und der Dauer in die Luft und verband sie mit dem Kreis. Die Magie baute sich auf und wuchs, und ich sprach die Worte der Gründung. Der Kreis legte sich um den Raum, und ich öffnete die Augen.
„Fertig“, sagte ich, und zu Roger: „Ihr könnte den Klub heute Abend wieder aufmachen, ich habe den Schutzzauber erneuert. Und jetzt gehe ich nach Hause.“ Dann fiel mir auf, dass die Hexe immer noch da war.
„Was ist eigentlich mit meinem Honorar?“ fragte sie hoffnungsvoll.
„Oh“, sagte Roger. „Sie können ja versuchen, den Chef dazu zu bringen, dass er es Ihnen zahlt. Ich rufe ihn jetzt an.“
Das könnte interessant werden, dachte ich, und war fast geneigt zu bleiben, um mir das Schauspiel anzusehen. Aber die Hexe hatte doch ein gewisses Maß an gesundem Menschenverstand – oder zumindest Selbsterhaltungstrieb – und beschloss, ebenfalls zu gehen. Ihr Angebot, mich in ihrem Auto mitzunehmen, schlug ich aus.

© P. Warmann