Von drauß vom Walde komm ich her / und muss euch sagen, es weihnachtet aber auch gar nicht.
Na gut, streichen wir auch dieses Jahr Eis und Schnee und den Winterwunderwald.
Dem Advent entkommen wir dennoch nicht. Kein Laden ohne Weihnachtsliedgedudel,
kein Schaufenster ohne Tannengrün, kein Bäcker ohne Stollenkonfekt.
Dagegen anzukämpfen nützt gar nichts, machen wir es uns also
gemütlich mit Tannenduft und Lichterglanz und einem warmen Eierbier.
[Rezept: Verquirlen Sie ein Eigelb mit einem Teelöffel Puderzucker.
Mischen Sie einen Viertelliter helles Bier mit etwas frisch abgeriebener
Zitronenschale und einer Prise Zimt und erhitzen Sie diese Mischung im
Wasserbad oder in der Mikrowelle. Es darf nicht kochen! Rühren Sie
das Eigelb mit einem Schneebesen unter das heiße Bier und schlagen
Sie es schaumig. Sofort genießen.]
Und hören wir uns einige erbauliche weihnachtliche Geschichten an.
Advent, Advent, ein Wichtlein brennt...
Brennt? Hieß es nicht rennt? Wo findet man überhaupt
Wichtel? Vielleicht im Märchenwald? Ja, das klingt gut.
Märchenwald ist jedenfalls angekündigt, zu finden
im oberen Stock einer Einkaufspassage, wo gerade ein Laden leer steht.
Für unsere Kleinsten.
Erwartungsvoll strebe ich dem Märchenwald zu. Aha, das ist er also:
drei hüfthohe Tannenbäume, die aussehen, als wären sie
vom vor-vor-vor-vorigen Weihnachten übrig geblieben (doch, Nadeln
haben sie noch, graue), dazu ein Büschel Gestrüpp, aus dem man
wohl beim besten Willen keine Ruten mehr binden konnte, und diverse zugesägte
Stammstücke auf vier Quadratmetern Kunstrasen. Darunter tummeln sich
ein ausgestopftes, weitgehend enthaartes Rehlein, ein putzig Männchen
machender eingestaubter, ebenfalls ausgestopfter Hase und ein Wichtel.
Ein Wichtel? Hmm...
Gesponsert wird das Ganze von einem Jagd- oder Jägerverband. Was
natürlich die Frage aufwirft, ob Wichtel wie Hase und Rehlein zum
jagdbaren Wild zählen. Wenn ja, erlegt man sie mit Schrot? Sind sie
essbar? Und was hängt man sich als Trophäe an die Wand? Ausstopfbar
sind sie ja offensichtlich...
Da gehe ich doch lieber weiter zum Weihnachtsmarkt. Dort finden sich erstaunlich wenige Wichtel, dafür aber immerhin ein Kinderkarussell, das ununterbrochen die Schlumpf-Hitparade spielt. Die besteht aus Variationen von drei Stücken: Kinderliedern in der Schlumpfversion, originalen Schlumpf-Schlagern sowie Schlumpf-Techno. Ich frage mich, wie die Leute an den Ständen rundherum das aushalten und ob nicht einer von ihnen nach Dienstschluss das Karussell mit der Panzerfaust entsorgen wird.
Wie gesagt, hier finden sich nur wenige Wichtel, dafür aber Unmengen
an Engeln. Es gibt sie aus den verschiedensten Materialien, aus Holz,
Gips, Keramik, Stoff und Papier, dazu essbare und Engel-Kerzen, die besonders
lustig aussehen, wenn man sie einige Zeit gebrannt hat und ihnen der Kopf
weggeschmolzen ist.
Und kleine Schutzengel-Anhänger gibt es, aus Halbedelsteinen geschnitten.
Ich stelle dem Verkäufer die Frage, wie diese funktionieren: Auf
welche Weise ist der Schutzengel im Anhänger enthalten, aktiviert
er sich bei Bedarf automatisch, oder muss man ihn irgendwie einschalten?
Leider weiß er das auch nicht so genau, aber es fällt der Ausdruck
spiritueller Airbag. Also wohl doch automatisch. Gut zu wissen.
Überhaupt, Engel. Weiß noch jemand, wie wahrhaftige Engel
aussehen? Nein, nicht verfettete nackte Knäblein mit Goldflügelchen.
Ehrfurcht gebietend.
Erinnern Sie sich an die Weihnachtsgeschichte? Nun kann man die Kenntnis
religiöser Texte nicht mehr voraussetzen, aber die Weihnachtsgeschichte
kennt eigentlich jeder. Zum alljährlichen Bescherungs-Vorprogramm
im Fernsehen gehört normalerweise eine alternde Schauspielerin, die
im Lehnstuhl sitzend vor Kaminfeuer und rieselndem Kunstschnee endlich
ihre Lesebrille öffentlich tragen darf und diversen angemieteten
Kindern selbige vorträgt.
Spulen wir mal vor bis zu der Stelle mit den Hirten. Der Engel taucht
auf, um die frohe Botschaft zu verkünden, aber was sind seine ersten
Worte? Fürchtet euch nicht. Genau.
Lasst mich rein, ihr Kinder / ist so kalt der Hintern...
Schließlich kommt der Heilige Abend. Ein Spaziergang zur Bescherungszeit
lässt uns allerlei kostümierte Geschenkebringer treffen, Engel,
Weihnachtsmänner natürlich und einen Osterhasen. Moment
einen Osterhasen? Oh, ich hatte das Geweih übersehen: Offensichtlich
ist es ein Elch.
Mutti, Vati, der Bescherungselch ist da! Warum auch nicht.
Überhaupt ist Weihnachten oder Heiligabend
keine zeitgemäße Bezeichnung mehr, diese Begriffe sind viel
zu religiös geprägt. Daher soll der Feiertag, wenn dem Antrag
stttgegeben wird, bald den Namen Nicht konfessionsgebundenes Geschenkefest
tragen.
Übrigens, wussten Sie, warum der Weihnachtsmann Rot-Weiß trägt? Das liegt daran, dass Weihnachten in den 1930er Jahren von Coca-Cola (TM) aufgekauft wurde, die begannen, ihre Werbekampagnen um einen in den Markenfarben gekleideten Weihnachtsmann aufzubauen. Dies ist wirklich wahr.
Der wahre Weihnachtsmann dagegen... Der trägt Pelz. Er hat auch keinen weißen Wattebart, sondern einen eisengrauen, in dem das Eis glitzert. Sein Schlitten kommt lautlos, ohne Glöckchenklang, und er wird nicht von schäbigen Rentieren gezogen, sondern von weißen Wölfen. Wenn Sie ihm begegnen, sollten Sie sich sicher sein, dass Sie auch das haben wollen, was Sie sich wünschen. Denn das wird er Ihnen schenken. Gnadenlos.
... und allüberall auf den Tannenspitzen / sah ich güldene
Lichtlein blitzen.
Aha. Und was hattest du genommen?
Etwas Illegales höchstwahrscheinlich. Da bleiben wir doch lieber
bei unserem warmen Eierbier. Oder, wenn uns nach Abwechslung zumute ist,
wie wäre es mit einem Westfälischen Bierpunsch?
Das Rezept: Geben Sie zu einem Viertelliter Bier 30 g zerriebenes Pumpernickel
und 50 g geriebene Bitterschokolade. Erhitzen Sie dies, bis der Pumpernickel
weich ist, dann lassen Sie es einmal aufkochen und streichen es durch
ein Haarsieb. Jetzt noch ein kleines Ei darunterquirlen, und dann: Zum
Wohle!
© P. Warmann