Hoden.

Männliche Säugetiere haben ein Problem: Ihre Keimdrüsen stellen bei zu hohen Temperaturen die Produktion von Samenzellen ein. Dummerweise ist die Temperatur im Körperinneren schon zu hoch, und das bedeutet, dass die Hoden dort nicht untergebracht werden können. Weibliche Säugetiere haben dieses Problem nicht – ihre Eierstöcke liegen gut geschützt mitten im Unterleib.
Die Hoden müssen also vor Überhitzung geschützt werden. Die Natur fand als Lösung die Luftkühlung: Die Hoden wurden in einen Beutel aus Haut gesteckt und unter dem Körper frei aufgehängt. Damit ist das Problem der Kühlung gelöst, aber ein neues ist entstanden. Es ist eigentlich keine gute Idee, ausgerechnet die Keimdrüsen, unverzichtbar für die Erhaltung der Art, so ungeschützt zur Schau zu stellen. Sie sind Wind und Wetter ausgesetzt, ohne Schutz von spitzen Steinen, stechenden Dornen oder scharfen Zähnen.
Zwar sind die Hoden in ihrem Beutel lose verpackt und mit Gel gepuffert, so dass sie Druck und anderen Angriffen in gewissem Maße ausweichen können. Trotzdem sind sie nur sehr unvollkommen geschützt. Als Lösung für dieses Problem blieb nur, den männlichen Wesen ein ausgeprägtes Gefühl für die Gegenwart und die Schadensanfälligkeit ihrer Keimdrüsen mitzugeben. Im Körpergefühl eines Mannes sind die Hoden stets gegenwärtig als ein Teil von ihm, der sorgsam behandelt und bewahrt werden muss. Eine gesunde Frau dagegen nimmt ihre Eierstöcke so wenig wahr wie ihre Nieren.
Frauen halten dieses Verhalten der Männer oft für Selbstverliebtheit oder übertriebenes Getue. In Wirklichkeit ist es ein Instinkt, der weit älter ist als die Menschheit, etwas, das wir mit den anderen Säugetieren gemeinsam haben. Und er erfüllt einen wichtigen Zweck: Jeder Mensch verdankt sein Leben nicht zuletzt einer Samenzelle aus einem wohlbewahrten Hoden.

© P. Warmann