Eine kurze Geschichte des Lebens und seiner Krisen.

Vor allen Krisen: Es geht los.

Irgendwann entstand das Leben auf der Erde... Mit dem Wie, dem Wann und dem Wieso wollen wir uns hier nicht beschäftigen. Wir steigen vor etwa dreieinhalb Milliarden Jahren in die Geschichte ein: Regen fällt auf öde Felsflächen, spült die Asche von Vulkanen davon und trägt die inzwischen dritte oder vierte Generation von Gebirgen ab, und all der Schutt und die gelösten Minerale landen in den Ozeanen. Über allem spannt sich eine Atmosphäre voller aggressiver Gase wie Ammoniak, Methan und Kohlendioxid, die sich im Wasser lösen, und aus schwarzen Gewitterwolken schießen Blitze in das Meer. Das ist inzwischen eine dicke Suppe aus den verschiedenen Bestandteilen, aus denen organisches Leben sich zusammensetzt, und irgendwann geschieht es: Leben entsteht.
Wie dieses genau aussah, wie es lernte, sich zu vermehren und Nahrung aufzunehmen, wie es sich zu einer Zelle organisierte, mit einer Zellwand drumherum und einem Glibber im Inneren, in dem auch die Erbanlagen herumschwammen, das überspringen wir (alle Theorien dazu sind sowieso reine Spekulation). Spulen wir lieber vor bis zu dem Punkt, an dem die erste echte Zelle durch das Meer treibt.
Das Leben ist ein Paradies: Das Meer um sie herum ist eine nahrhafte Suppe, voll mit all den Dingen, die sie braucht. Sie muss sie nur in sich hineinschlürfen, zerlegen und neu zusammensetzen, um mehr Zellsubstanz aufzubauen, so viel, dass sie sich irgendwann teilen kann. Und die beiden neu entstandenen Zellen machen weiter, löffeln Suppe, werden satt und groß und teilen sich. Die Zellen breiten sich aus, sie sind die Herren der Welt, bevölkern alle Meere (das Festland interessiert sie nicht), werden mehr und mehr und mehr, lernen, ihre Nahrung immer effektiver aus dem Wasser zu ziehen, und so wird es immer weitergehen...
Nein, wird es nicht. Das Leben hat sich selbst in eine Sackgasse manövriert, und das Ende ist nah.

Die erste Krise: Die Suppe ist alle!

Zu viele Zellen haben über zu lange Zeit geschlemmt, und jetzt gehen ihnen die Nährstoffe aus. Es gibt niemanden, der sie nachproduzieren würde, und was durch natürliche Vorgänge entsteht, wird sofort gefressen. Die Suppe ist ausgelöffelt, das Meer ist eine öde Wüste, und die Zellen sterben vor Hunger. Das Ende allen Lebens ist gekommen ... oder, nein, doch nicht: Irgendwo hat jemand schon seit einiger Zeit einen anderen Weg versucht. Bislang war diese neue Methode, sich zu ernähren, eher wenig erfolgversprechend, das Leben in der Suppe war zu leicht im Vergleich damit – aber jetzt erweist es sich plötzlich als der einzige Weg zu überleben.
Das heißt, es sind zwei Wege, und sie werden die Weichen stellen für die weitere Entwicklung des Lebens. Einmal sind da einige Zellen, in denen sich durch einen Zufall ein seltsamer Stoff gebildet hat. Er ist blaugrün (was aber niemand wahrnehmen kann, denn Augen sind noch nicht erfunden), und im Sonnenlicht wandelt er Kohlendioxid und Wasser (beides im Überfluss vorhanden) in Zucker um. Ein paar Milliarden Jahre später wird ihn jemand Chlorophyll nennen.
Zucker erweist sich als ausgezeichneter Brennstoff für die Zelle, und in weiteren Schritten kann sie damit auch ihre Substanz aufbauen. Plötzlich gibt es Zellen, die von äußerer Nährstoffzufuhr unabhängig sind – an ihnen geht die Krise spurlos vorüber. Sie heißen Cyanobakterien (früher Blaualgen), und von ihnen führt ein kurzer Weg zu den ersten echten Pflanzen.
Die zweite Antwort auf die Krise ist weniger genial, aber genauso effektiv. Die meisten Zellen waren nur in der Lage gewesen, kleine im Wasser treibende organische Moleküle aufzunehmen – und die sind jetzt aufgebraucht –, aber irgendwo hatte eine Zelle gelernt, auch mit größere Brocken fertig zu werden, sie in ihr Inneres zu ziehen, sie dort zu zerlegen und die Bestandteile zu verwerten. Solche Nahrungsbrocken sind zum Beispiel abgestorbene andere Zellen ... und dann findet einer ihrer Nachkommen heraus, dass man auch lebende, gesunde Zellen umschließen und verdauen kann.
Damit ist das Nahrungsproblem auf einen Schlag gelöst. Plötzlich ist jede Mitzelle potentielles Futter, und die Nahrungsvorräte sind wieder unerschöpflich. Von diesen andere Zellen fressenden Einzellern wird der Weg zu den späteren Tieren führen.
Und so ist die große Krise überstanden: Die Suppe löffelnden Ur-Zellen verschwinden, sie verhungern oder werden gefressen, aber Cyanobakterien und Zellen-Fresser gedeihen. Sie sind die Herren der Welt, und kein Nahrungsmangel wird sie jemals wieder aufhalten können ... aber die nächste Krise kommt aus einer ganz anderen Richtung, und sie ist wieder hausgemacht.

Die zweite Krise: Giftgas!

Photosynthese ist schon eine feine Sache: Da lässt man sich durch das warme Meer treiben, synthetisiert aus Kohlendioxid und Wasser alles, was man zum Leben braucht, und die paar Minerale, die man daneben noch benötigt, spült der Regen vom Festland ins Meer. Wundervoll ... wenn nicht dabei als Abfallprodukt ein unglaublich giftiges Gas entstehen würde, das jede Zelle in kürzester Zeit zerfrisst. Sein Name: Sauerstoff.
Zuerst ist das gar kein Problem. Das Gas entweicht aus dem Wasser in die Atmosphäre, und dann verschwindet es. Sauerstoff verbindet sich ausgesprochen gerne mit Eisen, zu Eisenoxiden, dem wohlbekannten Rost. Eisen ist Bestandteil fast aller irdischen Gesteine, und auf den weiten, öden Flächen des Festlandes findet zuerst jedes bei der Photosynthese entstandene Sauerstoff-Molekül sofort ein Eisenatom, das es in Rost verwandeln kann.
Lange Zeit geht das so – gut anderthalb Milliarden Jahre. Aber dann, vor etwa 1,1 Milliarden Jahren, ist das letzte freie Eisenatom oxidiert, und der Sauerstoffgehalt der Luft beginnt zu steigen – langsam, aber unaufhaltsam. Aus der Atmosphäre löst sich der Sauerstoff im Wasser und macht sich sofort daran, alles zu zersetzen, was ihm begegnet. Das Leben hat keine Chance: Von seinem eigenen giftigen Abfall-Gas eingeholt, geht es zugrunde. Das Ende ist da ... aber natürlich auch diesmal nicht für alle.
Die Cyanobakterien, die das Gas ja ausscheiden, hatten lernen müssen, sich dagegen zu schützen. Und irgendwo hat eine andere Zelle in ihrer Verzweiflung ein Enzym entwickelt, das das Gifgas bindet und unschädlich macht. Und sie stellt verblüfft fest, dass diese Notlösung ihr einen gewaltigen Vorteil verschafft: Bei dem Vorgang wird eine erhebliche Menge Energie frei, die die Zelle für sich nutzen kann. Zum Beispiel, um an ihrer Außenwand Fäden zu entwickeln, mit denen sie im Wasser herumwedeln kann – was ihre Fortbewegungsart von ‘Treiben' in ‘Schwimmen' verwandelt. Das kostet zwar eine Menge Energie, erhöht aber die Chancen erheblich, etwas Fressbares zu erbeuten – und selbst den Jägern zu entgehen.
So verwandelt sich die Welt in kurzer Zeit völlig. Die anaeroben (sauerstoffempfindlichen) Einzeller verschwinden fast völlig, und ab jetzt gehört die Welt den Sauerstoff verbrennenden, den atmenden Lebewesen – und denen, die Photosynthese treiben und sie beliefern.

Man würde jetzt die nächste Krise erwarten, aber noch kommt sie nicht. Statt dessen macht das Leben zwei neue Erfindungen, die ihm ganz neue Möglichkeiten eröffnen. Und das Giftgas hat am Ende doch noch sein Gutes.
Das Gute am Sauerstoff in der Atmosphäre ist, dass er zur Bildung einer Ozonschicht führt. Bislang ist Leben außerhalb des Wassers unmöglich gewesen, denn die starke ultraviolette Strahlung der Sonne hätte jede Zelle in kurzer Zeit zerlegt. Jetzt aber beginnt die Ozonschicht das Leben davor zu schützen, nur kommt noch niemand darauf, dass es sich lohnen könnte, an Land zu gehen. Aber das wird sich bald ändern.
Zuerst aber müssen zwei andere Entdeckungen gemacht werden. Bis jetzt waren alle Zellen sehr einfach aufgebaut: Sie waren praktisch kleine Beutel voller Glibber – sie bestanden aus einer festen Zellwand, die ein halbflüssiges Inneres zusammenhielt, in dem alles einfach herumschwamm: Enzyme zur Verdauung, Nährstoffe, sogar die Erbanlagen. Nahrung wurde aufgenommen, indem die Zelle sie durch eine spontan entstandene Öffnung ins Innere zog und dort verdaute.
Doch einige Zellen hatten es sich anscheinend angewöhnt, auf Vorrat zu fressen und andere Zellen zwar einzusaugen, sie aber für schlechte Zeiten am Leben zu lassen. Sie halten diese Vorräte frisch, indem sie ihnen gestatten, im Zellinneren des Jägers weiterzuleben – dafür werden ihnen sogar Nährstoffe zugeteilt. Und irgendwann kommt eine der so eingeschlossenen Zellen auf die Idee, ihr Überleben zu sichern, indem sie dem Kidnapper etwas gibt, was für diesen wertvoll ist – so wertvoll, dass es für ihn günstiger ist, den Gefangenen am Leben zu erhalten und zu ‘melken', als ihn zu verdauen.
Zwei ganz unterschiedliche Klassen von Zellen kommen unabhängig auf diese Idee. Einmal sind es Cyanobakterien, die im Inneren ihres Wirts weiter Photosynthese betreiben und ihn mit Zucker versorgen. Das erweist sich als so vorteilhaft, und zwar für beide, dass der Wirt bei der Zellteilung seinem Nachkommen einen Teil der Insassen mitgibt. Und schließlich wird die Zusammenarbeit so eng, dass die beiden nicht mehr getrennt existieren können – ein neuer, höherer Organismus ist entstanden: die erste echte Pflanze.
Das gleiche geschieht mit zwei anderen Partnern noch einmal: Diesmal werden einige sehr effektiv aus Nahrung Energie erzeugende Untermieter aufgenommen, die sehr schnell zu den Mitochondrien werden, unentbehrlichen Energielieferanten in jeder höheren Zelle – auch in denen, aus denen sich Ihr Körper aufbaut.
In diesem Zusammenhang wird vermutlich auch der Zellkern erfunden. Wenn man Gäste in seinem Inneren beherbergt und sie mit Nährstoffen versorgt, sollte man tunlichst verhindern, dass sie einem dabei die Erbanlagen verspeisen. Es ist also eine gute Idee, diese zusammenzufegen und in eine innere Umhüllung zu verpacken.

Und damit kommen wir zur zweiten Entdeckung mit weit reichenden Folgen, die diese frühen Zellen machen. Schon lange tobt ein evolutionärer Wettbewerb, wie man sich erfolgreich vor dem Gefressen-werden schützt – und wie man als Jäger diese Verteidigungsmaßnahmen aushebelt. Es gibt die Möglichkeit, wegzuschwimmen (aber der Jäger schwimmt hinterher), Giftstoffe zu produzieren (und der Jäger entwickelt Enzyme, die sie unschädlich machen), oder einfach so groß zu werden, dass man nicht mehr verschluckt werden kann. Letztere Strategie stößt aber schnell an eine Grenze, denn es gibt eine natürliche Obergrenze für die Größe von Zellen. Die gilt für beide, Jäger wie Beute, und so endet der Wettstreit vorläufig mit einem Patt.
Bis dann irgendein Lebewesen das Pech hat, dass nach der Zellteilung die neu entstandenen Exemplare aneinander haften bleiben. Das hat sicher gewisse Nachteile, aber auch den Vorteil, dass der entstandene Klumpen zu groß ist, um am Stück verschluckt zu werden. Das schützt die so entstandene Zellkolonie vor den jagenden Einzellern – was für sich genommen schon sehr schön ist, aber die eigentlich bahnbrechende Erfindung kommt, als die Zellen in einem solchen Verbund anfangen, sich die Arbeit zu teilen. So wird aus einem Verband eigenständiger, gleichartiger Zellen etwas ganz Neues: ein vielzellige Organismus, der sich als ein Ganzes fortpflanzt.
Allerdings machen diese neuen Vielzeller zuerst noch nicht viel aus ihren neuen Möglichkeiten. Tatsächlich sind die meisten von ihnen immer noch nicht mehr als glibbergefüllte Beutel, nur größer. Sie haben nicht mehr vorzuweisen als eine feste Wandung und ein undifferenziertes Inneres, nur besteht das alles jetzt aus vielen Zellen. Für einen kurzen Moment sind diese Vielzeller aber trotzdem die Herren der Welt. Sie treiben dahin, schlürfen ein, was kleiner ist als sie (also praktisch alles), und haben keine Feinde, denn sie sind zu groß, um selbst eingeschlürft zu werden. Warum Energie aufwenden, um sich weiterzuentwickeln? Die Welt ist so, wie sie ist, ihr Paradies, und so lassen sie sich treiben ... direkt in die nächste Krise, die ihr Ende bedeuten wird.

Die dritte Krise: Es hat mich gebissen!

Ausgelöst wird diese Krise, soweit wir wissen, durch einen Wurm. Heute sind Würmer nicht gerade für ihre Innovationsfreudigkeit bekannt, aber damals, vor etwas mehr als einer halben Milliarde Jahren, sahen sie das offensichtlich noch anders. Sie entwickeln in schneller Folge drei bahnbrechende Neuerungen – und dann noch eine vierte. Die ersten drei sind ein echtes Verdauungssystem, Muskeln und eine elektrische Steuerung.
Würmer waren die ersten Lebewesen mit einem Verdauungstrakt, einer Art Längsbohrung durch den Körper, ausgekleidet mit Zellen, die sich auf Verdauung spezialisiert haben, mit einer Einsaugöffnung am einen Ende und einem Auslass für den Abfall am anderen. Das mag nicht nach einer spektakulären Neuerung klingen, aber es hält die Nahrung – und die Abfälle – aus dem eigentlichen Körperinneren heraus und leitet dorthin nur die reinen, aus der Nahrung gewonnenen Nährstoffe. Dies schützt vor Vergiftung und innerer Verschmutzung und erlaubt es, für die Verdauung ätzende Hilfsstoffe einzusetzen (man denke an unsere Magensäure).
Muskeln erweisen sich ebenfalls als ein Schritt in die richtige Richtung. Sie erlauben es den Würmern, die damals wie heute alle ziemlich länglich gebaut sind, sich zu ringeln und, noch besser, durch schlängelnde Bewegungen ziemlich effektiv zu schwimmen. Damit diese Muskeln aber nicht nur unkontrolliert zucken, sondern koordiniert arbeiten, wird gleich noch eine elektrische Steuerung entworfen: Elektrische Impulse werden über Nerven durch den Körper geleitet – der erste Entwurf eines Nervensystems.
Das alles macht die Würmer zu den fortschrittlichsten Lebewesen ihrer Zeit, aber damit sie den Untergang der Glibbersäcke auslösen können, muss noch eine Erfindung dazukommen. Es beginnt, wie eigentlich immer in der Evolution, mit einem Zufall: Manche Würmer lagern kleine Plättchen aus Chitin, einem polymeren Eiweiß, in ihren Körper ein. Aber dann lagern sich diese scharfkantigen Teilchen bei einem Wurm rund um die Mundöffnung ab, und als dieser wieder einmal versucht, etwas zu schlucken, das zu groß für ihn ist, es nicht schafft und frustriert den Mund schließt ... da hat er plötzlich ein Stück von seiner Beute abgebissen.
Das erweist sich praktisch sofort als ein gewaltiger Vorteil: Jetzt ist niemand mehr durch seine Größe geschützt. Was macht es, wenn jemand zu sperrig ist, um eingesaugt zu werden? Jetzt kann man ihn Stück für Stück fressen. Die Glibbersäcke haben dem nichts entgegenzusetzen. Sie werden zerstückelt und gefressen und verschwinden von dieser Welt. Andere Tierarten dagegen entwickeln Strategien, um diesem Schicksal zu entgehen – oder sie beißen zurück.
Eine Möglichkeit, nicht von Wesen mit Zähnen gefressen zu werden, ist es, sich zu panzern: mit einer Kalkschale, wie es Schnecken und Muscheln machen, mit Silikat (selten, eigentlich nur von ein paar Schwämmen verwendet) oder mit dem gleichen Material, aus dem die Wurmzähne waren – mit Chitin.
Daraus kann man einen besonders guten Körperpanzer bauen, der aus Platten besteht und das Tier nicht nur schützt, sondern es auch beweglich bleiben lässt (etwas, das Schnecken und Muscheln nie wirklich hinbekommen werden). Die Tiere, die diese Art von Panzer perfektionieren, nennt man Gliederfüßer, und das sagt schon aus, dass sie noch eine wichtige Entdeckung machen würden: sie entwickeln Beine. Diese bestehen aus gepanzerten Abschnitten, die durch Gelenke verbunden sind und die zum Krabbeln auf dem Meeresboden oder, zu Rudern geformt, zum Schwimmen benutzt werden können. Und irgendwann verdoppeln sich dann bei einem dieser Wesen die Spitzen der Vorderbeine, was zuerst wie eine störende Missbildung aussieht, bis einer der Träger einen ihn angreifenden Wurm zwischen diese Glieder klemmt, zudrückt – und feststellt, dass er gerade die Schere erfunden hat. Jetzt waren die Würmer nicht mehr die einzigen, die ihre Beute in Stücke zerlegen konnten.
Neben der Panzerung erweist es sich als eine zweite Überlebensstrategie, dem Jäger davonzuschwimmen, mit Ruderbeinen, Flossensäumen oder mit dem Rückstoßprinzip – und die Jäger lernen, auf gleiche Weise hinterherzuschwimmen. Und da es beim schnellen Schwimmen sehr nützlich ist, zu wissen, wohin man schwimmt, um nicht sofort dem nächsten Jäger vor die Zähne zu geraten, werden die Augen erfunden, ebenso Drucksensoren und andere Sinnesorgane.
Um deren Daten auswerten und die Reaktionen darauf – Flucht, Angriff oder Tarnung – berechnen zu können, muss jetzt auch das Nervensystem ausgebaut werden, und weil dies alles den Körper sehr viel Energie kostet, werden Kiemen erfunden, die effektiver Sauerstoff aus dem Wasser ziehen können.
Und so ist in kürzester Zeit das Meer bevölkert von schwimmenden, sehenden, atmenden und ihre Umwelt wahrnehmenden Wesen.
Als Gedankenexperiment könnte man einmal versuchen, das an diese Welt am besten angepasste Wesen zu entwerfen. Herauskommen würde wahrscheinlich ein Gliederfüßer, gut gepanzert, aber flexibel, mit Augen, Multifunktionsbeinen und Scheren. Und genau so sieht das erfolgreichste Tier dieser Zeit aus: der Trilobit. Es gab damals unzählige Trilobiten-Arten, die alle Unterwasser-Lebensräume besiedelten.
Aber dann, vor etwa 488 Millionen Jahren, taumelt diese erfolgreiche neue Lebensgemeinschaft in eine weitere Krise.

Die vierte Krise: Warum sind plötzlich alle tot?

Diese Krise ist eigentlich eine Folge von Krisen, zwei großen und mehreren kleineren, die alle nach dem gleichen Schema ablaufen: Zuerst entwickeln sich viele neue Arten, dann, sehr plötzlich, verschwinden die meisten von ihnen wieder. Ganze Ökosysteme werden so ausgelöscht, aber das Leben erholt sich jedesmal, und nach kurzer Zeit gibt es dann wieder eine Fülle neuer Arten.
Seltsam ist, dass es keine klaren Hinweise darauf gibt, was diese Artensterben ausgelöst haben könnte. In den etwa 40 Millionen Jahren dieser Krisenzeit brechen Kontinente auseinander und treiben an andere Orte, Gebirge erheben sich und werden wieder abgetragen, es gibt mehrere größere Eiszeiten, bei denen das Klima abkühlt und der Meeresspiegel sinkt – aber nichts davon sollte die Umweltbedingungen so sehr beeinflusst haben, das es zu einem weltweiten Aussterben kommen musste.
Ebenso merkwürdig ist, dass nach jedem der Artensterben die Lücken von Arten geschlossen werden, die den ausgestorbenen sehr ähnlich sind – noch ein Hinweis darauf, dass sich im Großen und Ganzen nicht viel geändert hatte. Die ganze Sache bleibt ein Rätsel.
Ansonsten entwickelt sich das Leben in gemäßigtem Tempo weiter. Die Trilobiten bleiben die Herren der Welt (in immer neuen Arten), sie bekomen aber langsam ernsthafte Mitbewerber um diesen Titel in großen, längliche Gehäuse tragenden Tintenfischen, die mittels Rückstoßprinzip schwimmen, Tentakeln und große Augen haben und allmählich so etwas wie ein echtes Hirn entwickeln. Daneben gedeihen von Kalkgehäusen geschützte Schnecken und Muscheln, dazu Armfüßer, Seelilien und andere Arten, die mit Tentakeln Nahrung aus dem Wasser fischen, und es entwickeln sich die ersten echten Riffe, aufgebaut von Schwämmen und frühen Korallen.
Und dann, am Ende dieser Zeit der Krisen, haben die Würmer ihren letzten großen Auftritt. Sie machen eine Erfindung, die der Beginn von etwas sein sollte, das geradewegs zu Ihnen und mir führen würde.

Zuerst sah es allerdings mal wieder aus wie eines von diesen Dingen, die niemand braucht. Es ist ein steifer Stab, der einmal längs durch den Körper führt, und das ist für ein Wesen, das sich ringelt und schlängelt, eher von Nachteil. Aber dann entdeckt der arme Wurm, dem dies zugestoßen ist, dass man an diesem Stab Muskeln befestigen kann, und plötzlich sieht die Sache ganz anders aus.
Muskeln arbeiten nämlich mit Zugkräften, und Zug funktioniert am besten, wenn er ein festes Widerlager hat. Andere Tierklassen hatten dieses Prinzip auch schon entdeckt – Muscheln schlossen mit Muskelzug ihre Schalen, und die Krebstiere mit ihren Körperpanzer-Platten hatten ein ausgefeiltes System von Muskeln an deren Innenseite festgemacht, mit denen sie Beine, Ruder und Scheren sowohl präzise als auch kraftvoll bewegen konnten.
Tiere ohne hartes Widerlager dagegen können sich nur wenig effektiv schlängeln (wie die Würmer) oder pulsieren wie die Quallen und sind auch sonst eher im Nachteil. (Kurze Abschweifung: Die große Ausnahme von dieser Regel sind die Kraken. Obwohl sie nirgendwo in ihrem Körper ein Widerlager haben, schwimmen sie effektiv mit dem Rückstoßprinzip (nach dem System ‘pulsierender Ringmuskel'), haben mit ihren Fangarmen das Prinzip ‘ringeln' zu ‘umschlingen' ausgebaut, unterstützt von Saugnäpfen, und schaffen sich ein äußeres Widerlager, indem sie sich mit einigen Fangarmen irgendwo festhalten, während sie mit den anderen ziehen. Aber Kraken sind sowieso wunderbare Wesen.)
Jetzt aber, mit dem neuen Stab im Körperinneren, eröffnen sich für die Wurmabkömmlinge ganz neue Möglichkeiten. Besonders, wenn man den Stab unterteilt, so dass der Körper wieder etwas flexibler wird ... und am Ende des Körpers, das von den daran befestigten Muskeln kraftvoll hin und her geschlagen wird, ein breites Paddel anbringt ... und in die Stabstücke hartes Knochenmaterial zur Verstärkung einlagert... Dann hat man den ersten Entwurf einer Wirbelsäule, und das Tier, das sie in sich trägt, ist schon lange kein Wurm mehr. Es ist ein Fisch.
Die Fische entwickeln sich schnell weiter und bauen ihre Möglichkeiten aus. Wenn man zum Beispiel aus dem neuen Knochenmaterial Verstärkungen in die Schwanzflosse einbaut, arbeitet sie noch wirkungsvoller ... andere, seitlich an der Wirbelsäule angebrachte Knochenstrahlen spannen weitere Flossen auf ... und wenn diese dann noch mittels eines Gelenks angekoppelt werden, dann können sie sehr vielseitig bewegt werden, was zu einer exzellenten Manövrierfähigkeit führt. Für Knochen im Körper finden sich noch andere Verwendungsmöglichkeiten: Schnelles Schwimmen und exaktes Manövrieren verlangen zur Steuerung ein ausgebautes Hirn, und es war und ist von Vorteil, dieses und die wichtigsten Sinnesorgane mit einer harten Hülle zu schützen – so entsteht der Schädel. Und weil schnelles Schwimmen viel Energie verbraucht und dazu eine gute Sauerstoffversorgung nötig ist, werden die Kiemen mit knöchernen Bögen aufgespannt, was sie effektiver macht.
Aus einem dieser Bögen geht schließlich noch die letzte große Erfindung der Fische hervor. Bis jetzt hatten sie wie ihre Wurmvorfahren runde Ringmuskel-Münder gehabt. Zwar waren diese ringsum mit scharfen Zähnen besetzt, aber sie konnten damit eher knabbern und raspeln als wirklich abbeißen. Jetzt geschieht wieder einmal ein Missgeschick, das zu etwas Unerwartetem führen soll: Bei einem der Fische wandern die vorderen Kiemenbögen von den Kiemen weg in Richtung Mund. Das ist zuerst einmal ungut, denn damit können sie nicht mehr ihre eigentliche Aufgabe erfüllen, aber dann heftet sich der Ringmund daran fest ... und ebenso am Unterrand des Schädels ... die Zähne finden in beidem ein festes Widerlager ... und wenn man dann noch ein Gelenk einbaut und die Muskeln richtig anbringt, dann hat man Ober- und Unterkiefer. Jetzt gibt es zum ersten Mal ein Wesen, das wirklich kraftvoll zubeißen kann.
So werden die Fische die Herren der Welt. Diese schnellen, gewandten Schwimmer mit ihren effektiven Sinnesorganen (Augen und Drucksensoren) und einem fortschrittlichen Nervensystem erobern das Meer, und sie dringen auch in die Flüsse und dann in die anderen Süßwasser-Lebensräume vor. Ja, sie sind die Herren der Welt, und keine Krise würde sie jemals entthronen.
Es ist wahr: Bis heute behaupten sich die Fische in allen Gewässern. Neben ihnen haben sich auch andere Tiergruppen gehalten, so Schnecken und Muscheln, Seesterne, Tintenfische und Krebse, und manchmal versuchen andere, ihnen den Thron streitig zu machen, so Süßwasserkrokodile, Meeressaurier und neuerdings die Wale, aber noch immer sind die Fische die bestangepasste und erfolgreichste Lebensform ... im Wasser. Aber es gibt ja auch noch das Land.
Denn zu diesem Zeitpunkt geht das Leben an Land, und von jetzt an würden neue Erfindungen der Evolution nur noch dort gemacht werden. Oh, natürlich geht die Entwicklung auch im Wasser weiter, wo immer wieder neue Arten entstehen werden – aber eben nur Arten. Ganz neue Tierformen, ganz neue Klassen von Lebewesen würden sich von jetzt an nur noch an Land entwickeln.

Zuerst machen sich die Pflanzen auf den Weg an Land. Auch sie hatten damals den Schritt zur Vielzelligkeit gemacht und lebten seitdem als fädige Algen oder lappige Tange überall dort, wo das Wasser von Sonnenlicht durchflutet war. Das Problem ist nur, dass alle geeigneten Lebensräume inzwischen dicht besiedelt sind. Wer ein Plätzchen ganz für sich haben will, muss etwas Neues wagen. Und so gehen die Pflanzen an Land.
Dort gibt es viel ungefiltertes Sonnenlicht, und das ist günstig für die Photosynthese. Allerdings muss man sich auch gegen Austrockung schützen. Dieses Problem ist aber lösbar, denn auch Pflanzen hatten als Schutz gegen das Angeknabbert-werden feste Außenhüllen entwickelt. Etwas angepasst bieten sie auch Schutz vor der Trockenheit. Außerdem gehen die Pflanzen wahrscheinlich in kleinen Etappen an Land: Zuerst wagen sie sich knapp über die Wasserlinie, wo der Untergrund nur eine kurze Zeit während der Ebbe trocken fällt, dann weiter hinein ins Land, wo sie nur noch bei der höchsten Flut überspült werden, und schließlich ganz auf das Trockene. Bei diesem Übergang kommt den Pflanze zugute, dass zu dieser Zeit, vor etwa 450 Millionen Jahren, auf den meisten Kontinenten ein feuchtwarmes tropisches Klima herrscht, was ihnen den Übergang deutlich leichter macht.
Sehr schnell entwickeln sie noch weitere Anpassungen. Lappig auf dem Boden herumzuliegen ist keine ideale Lösung. Viel günstiger wäre es doch, sich einen Stiel, Stängel oder Stamm zuzulegen und von dort aus Verzweigungen auszubreiten, um das Sonnenlicht wirkungsvoller einzufangen. Dazu muss man allerdings feste Verstärkungsfasern entwickeln – aus denen später echtes Holz werden sollte –, damit der Stiel nicht gleich wieder in sich zusammenbricht. Außerdem müssen sie sich irgendwie im Boden verankern, und mit diesem Wurzelwerk können gleichzeitig Wasser und Mineralien aus dem Boden geholt werden. Jetzt braucht die Pflanze nur noch ein Gefäßsystem, das diese und die über die Photosynthese erzeugten Nährstoffe im Körper verteilt, und fertig ist ein an das Leben auf dem Land perfekt angepasstes Wesen.
Und so breiten sich die Pflanzen über das Festland aus und bilden riesige Wälder aus meterhohen Schachtelhalmen, Bärlappgewächsen und Farnen – letztere sind die ersten, die die Vorteile von Blättern entdecken, deren große Oberfläche das Sonnenlicht besonders effektiv einfängt.

Kurz nach den Pflanzen gehen dann auch die Tiere an Land. Krebse sind vermutlich die ersten, denn ihr Körperbau macht ihnen diesen Schritt leicht. Wassertiere müssen bim Übergang an Land drei Probleme lösen: Sie müssen sich wie die Pflanzen vor Austrocknung schützen, sie können nicht schwimmen, brauchen also eine andere Art der Fortbewegung, und sie müssen atmen.
Vor der Austrocknung schützt die Kebstiere ihr Außenskelett aus Chitin, und dass sie nie besonders gute Schwimmer gewesen waren, wird sich jetzt als Vorteil erweist. Sie hatten statt dessen auf dem Boden gelebt und waren auf Beinen über den Untergrund geschritten – was, wie sich erfreulicherweise herausstellt, an Land genau so gut funktioniert. So bleibt nur das Problem mit dem Atmen. Kiemen funktionieren nur, wenn sie von Wasser umgeben sind, aber die Krebse stellen zu ihrer Freude fest, das ihre Kiemen nicht von Wasser umströmt sein müssen – es genügt, wenn sie in eine relativ geringe Menge Wasser eintauchen. So bauen die Krebstiere einen Wassertank rund um ihre Kiemen und füllen ihn mit Meerwasser; in diesem löst sich der Sauerstoff der Luft, und so können sie ihn nutzen. Allerdings hält dieses Atemwasser nicht besonders lange vor, und daher müssen sie von Zeit zu Zeit frisches Wasser nachtanken.
Die Krabben und anderen Krebse sind also bald zu längeren Landausflügen fähig, aber sie bleiben immer an die Nähe des Meeres gebunden. Andere Gliederfüßer bauen aber auf diesen Erfindungen auf, entwickeln echte Lungen, passen auch ihren Körperbau an und machen sich auf den Weg in die neu entstandenen Wälder. Und so entwickeln sich Asseln und Silberfischchen, Tausendfüßler und Skorpione und schließlich auch die beiden wichtigsten Gruppen der Gliederfüßer, die Spinnen und die Insekten. Sie besiedeln sehr schnell und äußerst erfolgreich praktisch alle Lebensräume, die das Festland zu bieten hat.
Einige andere Tierarten folgen ihnen. Im Untergrund wühlende Würmer schaffen den Übergang vom feuchten Schlick der Küsten in den feuchten Untergrund der Wälder, und Schnecken nehmen den gleichen Weg, nur oberirdisch.
Und schließlich wagt auch die erfolgreichste Gruppe der Wasserbewohner diesen Schritt: Die Fische gehen an Land.

Dabei kann man sich kaum ein weniger für das Leben an Land geeignetes Wesen vorstellen als einen Fisch. Sie hatten zuerst auch gar nicht vor, das Wasser zu verlassen, aber eine Reihe von Anpassungen, die für einen ganz anderen Zweck entwickelt worden waren, erweist sich schließlich als genau dafür besonders geeignet.
Ziel dieser Fische ist es, eine neue ökologische Nische zu entdecken, in der sie ihr Auskommen finden können. In den Meeren wird es nämlich langsam eng. Die Fische dort haben sich von primitiven Anfängen schnell weiterentwickelt. Inzwischen gibt es die ersten Rochen und Haie, und sie werden von riesigen Panzerfischen gejagt, die zehn Meter lang werden und mit ihren stabilen Ganzkörper-Panzern niemanden zu fürchten haben. Sie sind die wirklichen Herren der Meere dieser Zeit vor etwa 400 Millionen Jahren.
Daneben gibt es natürlich auch kleinere Fische jeder Größe und Form, die alle Nischen der damaligen Lebensräume besetzt haben. Dies bekommen auch die Trilobiten zu spüren, die von dieser Konkurrenz langsam verdrängt werden. Zudem taucht noch eine weitere neue Tiergruppe auf, die sich sehr erfolgreich ihre eigenen Jagdgründe sichert: die Ammoniten, Tintenfische, die sich mit schneckenhausförmigen Gehäusen schützen und mit ihren Fangarmen, einem scharfen Schnabel und großen, gut entwickelten Augen als echtes Erfolgsmodell erweisen sollten.
Im Meer eine eigene Nische zu finden ist also mehr als schwierig. Im Süßwasser sieht es nicht viel besser aus: Dort haben sich die Knochenfische ausgebreitet (die Vorfahren der meisten modernen Fische vom Hering bis zum Hecht). Nur in den Randgebieten sind noch freie Plätze zu finden. Und so sucht sich unser Fisch einen Lebensraum, den bislang niemand gewollt hat: die Tümpel und verzweigten flachen Wasserarme mitten in den neu entstandenen Sumpfwäldern. Ideal sind diese Lebensräume nicht. Das Wasser wird nur bei den Überschwemmungen während der Regenzeit erneuert, ansonsten ist es sehr warm, schlammig und sauerstoffarm. Immerhin, Nahrung gibt es reichlich: Süßwasserkrebse, Würmer, Schnecken und die anderen neuen Bewohner der Sumpfwälder geben nahrhafte Beute ab.
Das neue Leben erfordert von unserem Fisch besondere Anpassungen. Die meisten Gewässer sind so flach, dass er darin nicht wirklich schwimmen kann – er lernt also, mit den Flossen über den schlammigen Grund zu robben. Das genügt aber nicht, denn wie er schnell herausfindet, müssen seine Flossen so kräftig sein, dass er sich damit liegestützartig hochstemmen kann. Sonst könnte er nicht zuschnappen – das geht nämlich nicht, wenn man mit dem Kinn flach auf dem Boden liegt.
Ein weiteres Problem ist, dass das Wasser der Sumpftümpel kaum Sauerstoff enthält. Der Fisch muss also Sauerstoff aus der Luft aufnehmen können, um nicht zu ersticken. So entwickelt er etwas, das halb Kiemen und halb Lunge ist und die Atmung unter wie über Wasser erlaubt.
Und dann trocknet eines Tages sein Tümpel vollends aus, und um zu überleben muss er es wagen zu versuchen, über Land das nächste Gewässer zu erreichen. Das erweist sich mit den neuen Stummelbeinen und einer halbwegs funktionierenden Luftatmung als erstaunlich einfach, und unterwegs stößt er dazu noch auf so manches leckere Häppchen. Erstaunt stellt er fest, dass hier draußen außer ihm niemand jagt, und so gewöhnt er es sich an, immer längere Ausflüge an Land zu unternehmen. Diese Fische auf dem Weg zum Lurch sehen aus wie eine Mischung aus Fisch und Salamander und leben wohl auch so: meist im Wasser, oft an Land, die ersten großen Landjäger in den neuen Wäldern und für kurze Zeit die Herren des Festlands.

Aber während die Fischlurche durch die Wälder stapfen und sich an ihren neuen Möglichkeiten erfreuen, stolpert die Lebensgemeinschaft im Meer in ihre nächste große Krise.

Die fünfte Krise: Wieso sind im Meer schon wieder alle tot?

Dabei hatte dort alles so gut ausgesehen: Die Fische entwickelten sich rasant weiter, die Ammoniten hatten sich robust ihr eigenes Plätzchen erkämpft, und in den warmen Küstengewässern waren riesige Riffe von frühen Korallen, Schwämmen und Stromatoporen aufgebaut worden. In ihnen leben und gedeihen Muscheln, Armfüßer, Seelilien und unzählige andere Tiere – aber dann geschieht etwas, das diese ganze komplexe Lebensgemeinschft auslöscht. Vor 360 Millionen Jahren verschwinden die alten Riffe, die frühen Korallen und die Stromatoporen sterben aus und mit ihnen viele weitere Arten. Im freien Wasser verschwinden die Panzerfische für immer von der Erde, und auch die anderen Fische sowie die Ammoniten und die Trilobiten verlieren viele Arten.
Was ist geschehen? Wir wissen es nicht. Ist es eine neue Vereisung, die die Meere kühler werden und den Meeresspiegel sinken lässt? Dadurch wären die flachen, warmen Meeresgebiete verschwunden, und das hätte durchaus die Riffe vernichten können. Aber ist das wirklich der Grund für das Massenaussterben?
Eine wenn auch nur vage Vermutung ist, dass es daran gelegen haben könnte, dass zu dieser Zeit winzige Einzeller entdecken, wie man sich eine Schale aus Kalk zulegt. Das schützt sie so gut vor dem Gefressen-werden, dass sie sich rasant vermehren und ihre Schalen, obwohl winzig, in der Masse gewaltige Schichten von Kalkstein bilden. Verdrängen sie andere Planktonarten, die bislang die Nahrungsgrundlage für das ganze System gebildet haben? Verändern sie, indem sie massenhaft Kohlendioxid (den Grundstoff für ihre Schalen) aus dem Meerwasser entfernen, dessen Zusammensetzung so stark, dass es den anderen Lebewesen schadet? Es ist eine begründete Vermutung, aber nicht mehr. Wie gesagt: Wir kennen den Grund für dieses Artensterben nicht.

Was auch immer sie ausgelöst hat, die Krise beschränkt sich auf das Leben im Meer. An Land dagegen läuft noch immer alles prächtig. Die Pflanzen haben auch die Umgebung der Sümpfe besiedelt, und riesige immergrüne Wälder bedecken die Kontinente. Bärlapp, Schachtelhalm und Farne werden darin bis zu 45 Meter hoch, und auch die Landtiere erreichen eine bisher unerreichte Größe. Es gibt Tausendfüßer von drei Metern Länge und riesige Insekten – und letztere wagen sich zu dieser Zeit zum ersten Mal in den dritten Lebensraum: Sie beginnen zu fliegen und erobern den Luftraum. Die Schaben sind vermutlich die ersten, die diese Erfindung machen, aber das Prachtexemplar ist eine Libelle mit einer Flügelspannweite von 75 Zentimetern.
Auch die Amphibien entwickeln sich schnell weiter. Viele von ihnen bleiben klein und ans Wasser gebunden, sie ähneln den heutigen Molchen. Andere aber wachsen zu Schweine- bis Flusspferdgröße heran, schaffen den Schwanz ab und wagen sich auf wuchtigen Beinen weit vom Wasser fort. Sie sind die Herren des Landes – aber ihre Lebensweise hat einen schwachen Punkt. Zwar verbringen diese Riesenamphibien den größten Teil ihres Lebens außerhalb der Gewässer, aber zumindest einmal in ihrem Leben müssen sie zum Wasser zurückkehren: zur Fortpflanzung. Denn wie bei ihren Fischvorfahren können sich ihre Jungen nur im Wasser entwickeln.
Und genau dies macht sie anfällig für die nächste Krise, die diesmal nur das Leben an Land betreffen sollte.

Die sechste Krise: Wo ist mein Sumpf?

Von dieser Krise wissen wir zur Abwechslung, was sie auslöste und wie sie ablief. Zuletzt war das Festland in drei Kontinente aufgeteilt, die aber schon seit einiger Zeit wieder aufeinander zutrieben. Jetzt, vor 300 Millionen Jahren, schließen sie sich zu einem einzigen Superkontinent zusammen. Und das führt dazu, dass das Landesinnere sehr schnell sehr trocken wird.
Bis jetzt hatten die Regenwolken, die vom Meer herantrieben, immer das Innere der Kontinente erreicht, aber jetzt ist der Kernbereich der riesigen Landmasse dafür zu weit von der Küste entfernt. Dazu kommt, dass die Kollision der Kontinente gewaltige Gebirge auftürmt, in deren Regenschatten es noch einmal trockener wird. Und schließlich erstreckt sich dieser Kontinent aller Kontinente in Nord-Süd-Richtung von Pol zu Pol, was die Meeresströmungen unterbricht, die vorher auf der Äquatorlinie den ganzen Erdball umrundet hatten. Wann immer dies in der Erdgeschichte geschah, wurde das Klima weltweit trockener.
Diesmal wirken alle diese Faktoren zusammen, und das ist keine gute Nachricht für die riesigen Sümpfe und immergrünen Wälder aus wasserbedürftigen Bärlappen und Schachtelhalmen. Sie trocknen aus und verschwinden, und mit ihnen die Lebensgemeinschaft aus gewaltigen Amphibien, Riesenlibellen und meterlangen Tausendfüßlern. Es ist das Ende der Vorherrschaft der Amphibien auf dem Land.

Zuerst wirkt die Lage auf dem Festland verzweifelt: Im tiefen Landesinneren verwandeln sich weite Landstriche in Wüsten ohne Pflanzenwuchs und Tierleben. Hier gibt es nur noch treibenden Sand und ausgedehnte Salzablagerungen.
Näher zur Küste fällt noch Regen, aber deutlich weniger als zuvor – zu wenig für Sumpfwälder und die in ihnen gedeihenden Pflanzen. Aber es hatte auch schon vor der Krise trockenere Gebiete gegeben und Pflanzen, die sich daran angepasst hatten. Jetzt ist ihre Stunde gekommen, und sie übernehmen den Lebensraum, den die Sumpfpflanzen freigeben müssen.
Bis jetzt hatten sich alle Landpflanzen über Sporen vermehrt, und diese brauchen feuchten, fruchtbaren Untergrund, um zu keimen. Auch sind die Keimlinge sehr zart und klein und müssen sofort Nährstoffe und Wasser aufnehmen können, um zu überleben. Die Neuen dagegen haben die ersten richtigen Samen entwickelt. Die schützt eine harte Schale, und so müssen sie nicht sofort keimen: Sie können eine Zeit lang, durchaus auch mehrere Jahre, im trockenen Boden liegen und auf bessere Bedingungen warten. Und wenn es dann regnet und sie keimen, dann kann der Keimling auf Nährstoffvorräte zurückgreifen, die in dem wesentlich größeren Samen eingelagert gewesen sind. Sie reichen, um Wurzeln nach unten in Wasser führende Bodenschichten zu schicken und Blätter und einen ersten Stamm auszubilden. So hat der Keimling auch in trockenen Gegenden eine Chance.
Diese neue Klasse von Pflanzen sind die Nacktsamer (sie tragen Samen, aber keine Früchte), und zu ihnen gehören Palmfarne, Gingko und vor allem die ersten Koniferen – Zapfen tragende Nadelbäume. Neben der Erfindung der neuartigen Samen haben sie sich noch auf andere Weise an die Trockenheit angepasst: Sie bilden Stämme aus echtem Holz und mit fester Rinde aus, was die Verdunstung einschränkt, und die Nadelbäume legen sich aus dem gleichen Grund kleine, harte und mit Wachs beschichtete Blätter zu.
Bald bedecken Wälder wieder die Ränder des Riesenkontinents, trockene Wälder zwar, aber durchaus üppig. Und auch die Tiere passen sich an. Den Insekten und anderen Gliederfüßern fält das am leichtesten, denn ihr Außenskelett hatte sie schon immer vor Austrocknung geschützt. Für die Amphibien sieht das allerdings anders aus. Alle speziell an die Sümpfe angepassten Arten verschwinden, einige kleinere überleben in den Restgewässern und im feuchten Unterwuchs, und die Riesenamphibien, die sich auf ein Leben weit vom Wasser entfernt eingerichtet hatten ... die überleben, aber nur, indem sie sich in etwas anderes verwandeln.
Ihr Körperbau und ihre Art zu leben sind auch für die neuen Bedingungen geeignet. Ihre Vermehrungsweise ist es nicht. Bis jetzt hatten alle Amphibien, wie auch praktisch alle andere Tiere (zum Beispiel Fische, Muscheln, Korallen, Krebse oder Libellen), sehr kleine Eier erzeugt, die sich nur im Wasser entwickeln konnten. Aus den Eiern schlüpfen nach kurzer Zeit Larven, die dann ebenfalls im Wasser Nahrung suchen und dort zu erwachsenen Tieren heranwachsen. Für wasserlebende Tiere bleibt das ein günstiger Weg, aber für die großen Landamphibien ist diese Art der Vermehrung jetzt nicht mehr möglich, weil es schlicht zu wenige Gewässer gibt und die Wege zu ihnen zu weit sind. Sie müssen eine Möglichkeit finden, die es den Nachkommen erlaubt, sich auf dem Trockenen zu entwickeln.
Und so erfinden die Nachkommen der Riesenamphibien eine neue Art von Ei. Es hat eine feste Schale, die die Feuchtigkeit im Inneren hält, und es ist größer. So kann dem Embryo ein Wasservorrat mitgegeben werden – praktisch ist das Ei ein winziges Aquarium für ihn –, und ein Vorrat an Nährstoffen wird ebenfalls mit eingepackt – der Eidotter. So können sich die Jungen dieser neuen Tierklasse im Ei entwickeln und schlüpfen erst, wenn sie auf dem Trockenen überlebensfähig sind. Sie sind jetzt keine Amphibien mehr – aus ihnen sind die ersten Reptilien geworden.
Die Insekten und anderen Gliederfüßer machen es übrigens ähnlich: Auch sie entwickeln Eier, die an Land abgelegt werden können.

Während das Leben an Land mit der Trockenheit gekämpft und sich schließlich daran angepasst hatte, hat sich das Leben im Meer prächtig erholt. Neue, vielfältige Riffe sind entstanden, und alle Tierklassen bringen eine Fülle an neuen Arten hervor. Die Herren der Meere sind die Ammoniten und große, hochentwickelte Haie. Auch an Land entwickeln sich die neu entstandenen Reptilien schnell weiter, schützen ihre Haut mit Hornschuppen und entwickeln schlankere, weniger wuchtige Körper. So wandern sie weit über das Land und suchen sich Nahrung, wo sie sie finden, und haben alles Recht, sich für die Herren des Festlandes zu halten.

Und so blicken alle durchaus zuversichtlich in die Zukunft, denn augenscheinlich ist das Leben in der Lage, mit jeder Art von Krise fertig zu werden. Doch als die nächste Krise dann kommt, müssen sie erkennen, dass sie ihr nichts entgegenzusetzen haben.

Die siebente Krise: Lebt irgendwo noch jemand?

Diese Krise trat vor 250 Millionen Jahren ein, und sie traf vor allem das Leben im Meer. Es ist die schlimmste seit es vielzelliges Leben auf der Erde gibt: Über 90 Prozent aller im Meer lebenden Arten sterben aus.
Dabei ist wieder völlig unklar, was diese Krise auslöste. Die Lebensbedingungen auf der Erde ändern sich zu dieser Zeit nicht grundlegend – es ist weiterhin heiß und eher trocken, aber das sollte das Leben im Meer nicht besonders beeinflusst haben. Allerdings beginnt zu dieser Zeit der Riesenkontinent wieder auseinander zu brechen, und in diesem Zusammenhang kommt es zu gewaltigen Vulkanausbrüchen. Auch der Vulkanismus auf dem Meeresboden nimmt zu – verändert das vielleicht die Chemie des Meerwasser? Wir wissen es nicht.
Bemerkenswert ist auch, dass zwar fast alle Arten aussterben, aber jene, die nach der Krise die Lücken füllen, ganz ähnliche Lebensgemeinschaften aufbauen. Die Verhältnisse vor und nach der Krise müssen also fast die gleichen gewesen sein – warum kam es dann aber zu diesem Einschnitt?
Außerdem betrifft dieses Artensterben überwiegend das Meer. Auf dem Festland verschwinden in dieser Zeit zwar auch 70 Prozent der Arten, aber hier hat man nicht den Eindruck, dass es zu einem einmaligen Kahlschlag kommt, zu einem plötzlichen Auslöschen vieler Arten, nach dem die Lücken sich dann langsam wieder schließen. Statt dessen scheint es eher ein hektischer Wettlauf des Lebens um die beste Anpassung zu sein. Lebensgemeinschaften entstehen, die abhängig von ganz bestimmten Bedingungen sind, und werden wieder ausgelöscht, wenn die Umstände sich ändern.
Da entwickelt zum Beispiel ein bestimmter Baum einen neuen, verbesserten Samen und kann sich deshalb weithin ausbreiten – wobei er die dort etablierten Gemeinschaften natürlich verdrängt. Deren Arten sterben aus, dafür spezialisieren sich die verschiedensten Tierarten als Samenknacker, Rindenbohrer und Blattfresser auf den neuen Baum ... und dann macht wieder jemand anderer eine neue evolutionäre Entdeckung, die unseren Baum samt seiner Gemeinschaft von Spezialisten auslöscht.

Die Bestandsaufnahme nach der großen Krise sieht ein verwüstetes Meer, in dem das Leben sich aber schnell erholt. Die frühen Korallen und viele andere Arten von riffbildenden Tieren sind verschwunden, aber moderne Steinkorallen sind schon dabei, die Riffe wieder aufzubauen. Die Trilobiten haben es nicht geschafft, sie sind endgültig ausgestorben, aber die Ammoniten und ihre kleineren Verwandten, die Belemniten, entwickeln wieder eine Vielzahl von Arten. Die Fische erholen sich ebenfalls, aber die Zeit der großen Haie ist vorerst vorbei.
An Land wachsen immer noch die großen Wälder aus Nadelbäumen, Farnen, Gingkos und Palmfarnen. Die Reptilien haben sich rasant weiterentwickelt: Die direkten Nachkommen der alten Riesenamphibien, massige, schwerfällige Tiere, sind von flinken, anpassungsfähigen neuen Arten verdrängt worden. Zu dieser Zeit erscheinen die ersten Schildkröten, Schlangen und Krokodile und vor allem die Dinosaurier. Meerechsen gehen in den Ozean und nehmen dort den Platz der Haie ein, und zum ersten Mal lernt neben den Insekten eine andere Tiergruppe das Fliegen: Flugsaurier erheben sich in die Lüfte.
Der riesige Superkontinent zerbricht jetzt endgültig in eine nördliche und eine südliche Hälfte, und beide zerteilen sich weiter in kleinere Kontinentalschollen. Für das Leben ist das eine gute Nachricht: Da die Festlandstücke jetzt kleiner sind, erreicht der Regen wieder das Landesinnere, und das Klima wird merklich feuchter, auch, weil der Weg für eine Meeresströmung rund um die Welt auf Äquatorhöhe wieder frei ist. Unter diesen neuen günstigen Bedingungen machen die Wälder sich auf, die ehemaligen Wüstengebiete im Landesinneren zurückzuerobern.
Für die Meereslebewesen bedeuten viele neue Kontinente viele neue Küsten, und weil die Teile des Riesenkontinents, die an den Polen gelegen hatten und von dicken Eisschichten bedeckt gewesen sind, jetzt auf ihren Plattenbruchstücken Richtung Äquator treiben, schmilzt das Eis dort ab. Das lässt den Meeresspiegel steigen, und so entstehen weite flache warme Meere – immer die günstigsten Lebensräume in den Ozeanen. Besonders den riffbildenden Meerestieren gefällt dies, die neu erbauten Riffe werden zur Heimat für Muscheln, Schnecken, die ersten Seesterne und Seeigel sowie unzählige Arten von Fischen, und das wiederum verheißt reiche Beute für die Jäger – es gibt wieder große Haiarten, aber zu dieser Zeit haben sie einen schweren Stand gegen die verschiedensten Arten von Meerechsen und gewaltige Salzwasserkrokodile.
An Land sind die Dinosaurier die unumschränkten Herrscher. Dank ihrer auf neuartige Weise in das Becken eingeschraubten Beine – sie sind nicht mehr neben, sondern unter dem Körper befestigt – können sie leichtfüßig und federnd laufen und ohne Kraftaufwand stehen (Reptilien mit der alten Art Becken, wie Krokodile und Schildkröten, müssen den Körper immer mit Muskelkraft vom Boden hochdrücken). Dinosaurier gibt es in allen Größen, sie passen sich an jede Art von Nahrung an, seien es Pflanzen, Fisch oder Fleisch, laufen auf zwei oder vier Beinen und leben in jeder Art von Umgebung. Man findet sie in Wüsten, Wäldern und sogar in den Polargebieten, die damals zwar warm und eisfrei waren, aber wie heute einige Monate im Jahr im Dunkel der Polarnacht lagen.
Auch unter den Dinosauriern geht der evolutionäre Wettlauf weiter, ständig erscheinen neue, verbesserte Modelle, und andere sterben aus. Würde man während der Zeit von vor 200 bis vor 65 Millionen Jahren alle 20 bis 30 Millionen Jahre eine Bestandsaufnahme der wichtigsten Dinosaurierarten (und auch der großen Meeresreptilien) machen, so würde man jedes Mal völlig andere Arten vorfinden. Diese entwickeln sich auch deshalb, weil Neuerungen bei anderen Klassen von Lebewesen sie dazu zwingen, darauf zu antworten. Eine dieser Neuerungen ist besonders bedeutend: Die Pflanzen entdecken das Prinzip ‘Blüte' – und gleich auch noch das Prinzip ‘Frucht'.
Bis jetzt hatten Pflanzen ihre Bestäubung hauptsächlich dem Wind überlassen, aber jetzt, vor 125 Millionen Jahren, beauftragen sie zum ersten Mal Tiere damit. Einige Pflanzen konstruieren große, bunte Teller – Blüten –, auf denen sie eine leckere Zuckerlösung anbieten – Nektar –, und geben den naschenden Tieren dann heimlich etwas Blütenstaub mit, mit dem diese die Blüten des nächsten Baumes der gleichen Art bestäuben. Zuerst sind die Besucher der Blüten wohl Reptilien und vielleicht auch Vögel (zu denen gleich mehr) – die ersten Blüten sind sehr groß –, aber schon bald übernehmen vor allem Insekten diese Aufgabe, und die Pflanzen bauen ihre Blüten für diese Lebewesen um. Es entstehen ganz neue Insektenarten wie Bienen, Wespen, Schmetterlinge und Ameisen, die vom Nektar der Blüten leben, und von den neuen Früchten.
Denn Früchte sind die zweite neue Erfindung: Der Samen wird jetzt nicht mehr nackt in die Umwelt entlassen, sondern von einer Hülle umgeben, weshalb man die neue Pflanzengruppe Bedecktsamer nennt. Diese Hülle kann irgend etwas zwischen einer derben Schale und einer saftigen Frucht sein. Früchte hatten und haben nur einen einzigen Zweck: Sie locken Tiere an, die sie fressen. Das klingt zwar wie pflanzlicher Selbstmord, aber die meisten Tiere verdauen nur die Fruchthülle und scheiden die Samen unversehrt wieder aus – schön vorgequollen und in einem Kothäufchen, das gleich für Düngung sorgt.
Was aber nützt den Pflanzen dieser ganze Aufwand? Die Produktion von Nektar und saftigem Fruchtfleisch kostet schließlich Energie – aber beides besteht hauptsächlich aus Wasser, Zucker und etwas Zellulose, die der Frucht Substanz gibt. Zellulose ist ein polymerer Zucker, und Zucker und Wasser sind für eine Pflanze billige Rohstoffe – Wasser ziehen ihre Wurzeln aus dem Boden, und Zucker entsteht bei der Photosynthese. Eiweiß dagegen muss sie unter erheblichem Energieaufwand herstellen, und die Pollen, die bei der Windbestäubung in großen Mengen in die Luft abgegeben werden, bestehen hauptsächlich aus Eiweiß. Jetzt aber, nach der Umstellung der Bestäubungsmethode, müssen nur noch winzige Mengen Pollen gebildet werden, weil die tierischen Bestäuber ihn gezielt an die richtige Adresse bringen. So erweist es sich für die Pflanzen schließlich als eine wirksame Energiesparmaßnahme.
Und noch eine Neuerung kommt zu dieser Zeit von den Bedecktsamern: Sie entwickeln das Prinzip ‘Blatt' weiter, das mit seiner großen Fläche für eine effektivere Photosynthese sorgt. Dank dieser drei Neuentwicklungen, Blüten, Früchten und großen Blättern, können sich die Blütenpflanzen über die ganze Welt ausbreiten. Bedecktsamige Bäume verdrängen die Palmfarne und Gingkos aus den alten Wäldern, und Blumen, Kräuter und Büsche gesellen sich zu den Farnen im Unterwuchs.
Allerdings machen saftige Blätter die Pflanze empfindlich gegen Austrocknung und Frost, und das war das Glück der Koniferen. An besonders trockenen Standorten oder dort, wo lange Zeit tiefer Frost herrscht, wie im Hochgebirge und in den Polargebieten, sind sie mit ihren harten, trockenen und durch Wachs geschützten Nadeln im Vorteil – bis heute.

Die Dinosaurier können sich auch auf diese Umwälzungen im Pflanzenreich einstellen – ihre Fähigkeit, sich an alle Veränderungen anzupassen und jede neue ökologische Nische zu besetzen, scheint unbegrenzt. Aber während sie sich durch die alten wie die neuen Wälder fressen oder ihre Beute über die weiten Ebenen hetzen, arbeite das Leben schon an einer ganz neuen Entwicklung. Sie würde es denen, die sie in sich tragen, einmal ermöglichen, die Dinosaurier abzulösen, wenn ihre Herrschaft vorüber sein würde.
Bis jetzt waren alle Lebewesen wechselwarm gewesen, das heißt, sie konnten nicht selbst innere Wärme erzeugen. Ihre Körpertemperatur hing von der Temperatur der Umgebung ab, obwohl sie sie in einem gewissen Maße regulieren konnten – zum Beispiel können sie sich in der Sonne aufwärmen und die gespeicherte Wärme mit in den Schatten und in kühle Ecken nehmen, wo sie einige Zeit vorhält. Aber im Großen und Ganzen sind alle Landtiere, die Reptilien und Amphibien genau wie die Insekten, an kühlen Tagen träge und unbeweglich, denn Muskeln arbeiten nur im warmen Zustand gut.
Eine innere Heizung, die den Bewegungsapparat auf Touren bringt und es dem Tier erlaubt, auch in kühler Umgebung aktiv zu sein, wäre da eine feine Sache ... nur lässt sich Körperwärme nur durch das Verbrennen von Nahrung erzeugen, und ein warmblütiges Tier muss sehr viel mehr fressen als ein Kaltblüter. Die Frage ist, ob die Energie-Rechnung aufgeht: Kann ich in der Zeit, in der ich meinen Körper heize und daher schneller und aktiver bin, genug Nahrung finden, um die zum Heizen benötigte Energie aufzubringen? Wenn ja, dann lohnt sich die Umstellung auf Warmblütigkeit.
Vermutlich verlief diese Entwicklung nicht in einem Schritt. Zuerst wird die innere Wärmeerzeugung wohl nur für kurze Zeit angeworfen, und sie erhöht die Körpertemperatur auch nur um ein paar Grad. Aber unter den richtigen Umständen kann auch das schon ein großer Vorteil sein.
Was für eine Art von Tier würde davon besonders profitieren? Wahrscheinlich ein kleiner, flinker Fleischfresser, der bei seiner Nahrung nicht wählerisch ist und alles nimmt, was er erhaschen kann, seien es Insekten oder kleinere Reptilien. Würde er jetzt in den kühlen Morgenstunden und bei ungünstigem Wetter seine Körpertemperatur erhöhen und zu einer Zeit flinker werden, wenn seine Beute besonders träge ist, dann könnte er in kurzer Zeit so viel mehr Nahrung erbeuten, dass sich der Aufwand lohnte. Und genau das geschah vor etwa 170 Millionen Jahren, als kleine, etwa hühnergroße, auf zwei Beinen laufende, langschwänzige und scharfzähnige Dinosaurier begannen, innere Wärme zu erzeugen.
Wenn es sich erweist, dass eine Neuentwicklung in der Praxis funktioniert, neigt das Leben dazu, sie weiter auszubauen. Könnte man nicht den inneren Ofen dauernd in Betrieb halten und so kühlere Landstriche besiedeln, wo kaltblütige Jäger nicht leben können und es daher keine Konkurrenz gibt? Ja, aber da ergibt sich ein Problem: In einer kalten Umgebung verliert der Körper sehr viel Wärme durch Abstrahlung, und das ist ungünstig für die Energiebilanz. Man müsste also die Abstrahlung irgendwie vermindern ... etwa, indem man die Schuppen in faserige, duftige Dinger umbaut, in Daunen ... nur isolieren diese zwar gut, aber sie saugen sich bei Regen mit Wasser voll ... also noch eine Deckschicht aus diesen faserigen Dingern darüber, nur halten hier die Fasern zu geraden Flächen zusammen ... und hiervon perlt auch der Regen ab. Die Federn waren erfunden.
Obwohl diese zur Wärmeisolierung entwickelt worden waren, entdecken ihre Träger schnell, dass sie sich auch für andere Zwecke einsetzen lassen. Zum Beispiel kann man sie bunt und auffallend machen und seinen Rivalen damit vor der Nase herumwedeln, um sie zu verscheuchen und bei den Weibchen Eindruck zu machen. Solche Schmuckfedern brachte man am günstigsten an Körperteilen an, wo sie auffallen, aber nicht bei der Jagd stören – also an den kurzen Vorderbeinen der zweibeinig laufenden Echsen und natürlich am Schwanz. Und eines Tages rennt so ein kleiner Gefiederter vor einem größeren Jäger davon und wedelt mit den Ärmchen in der verzweifelten Hoffnung, seinen Verfolger damit zu verwirren – bis ein Windstoß kommt und ihm unter die Federn greift, ihn anhebt und ein paar Meter weiter sanft auf einem Ast absetzt, außer Reichweite des Feindes.
Ganz offensichtlich lässt sich diese zufällig gemachte Erfindung ausbauen. Der nächste Schritt ist gesteuertes Gleiten, die Warmblütigkeit gibt den Muskeln die Kraft, lange und ausdauernd die befiederten Arme zu bewegen, und so wird aus Hüpfen-und-Flattern echtes Fliegen. Die Vögel sind geboren.
Ganz nebenbei revolutioniert die Kombination aus Federn und Körperwärme auch ihre Jungenaufzucht: Vermutlich hatten schon ihre Reptilienvorfahren ihre Gelege bewacht und sich schützend über sie gelegt, aber als die Vögel dies jetzt ebenfalls tun, geben sie Körperwärme an die Eier ab. Dadurch entwickeln sich die Jungen darin viel schneller und schlüpfen schon nach wenigen Wochen und nicht erst nach Monaten wie die Reptilienjungen. Wenn jetzt noch die Vogeleltern ihren Küken zeigen, wo Nahrung zu finden ist, oder sie gar füttern, dann können sie sehr viel weniger Eier produzieren und doch genügend Junge durchbringen, was bei allem Mehraufwand bei der Aufzucht am Ende Energie spart.
So übernehmen die Vögel nach etwas Feintuning – der Schwanz wird kürzer, was Gewicht spart und eine bessere Steuerung im Flug ermöglicht, das Brustbein wird vergrößert, um die starken Flugmuskeln daran zu befestigen, und die Zähne verschwinden und werden durch einen Hornschnabel ersetzt – die Herrschaft über die Lüfte. So ist es bis zum heutigen Tag.

Allerdings waren die Vögel nicht die einzigen, die den Trick mit der inneren Heizung für sich entdeckt hatten. Schon eine ganze Zeit vor ihnen, vor etwa 200 Millionen Jahren, waren andere auf die gleiche Idee gekommen – keine Dinosaurier, sondern primitivere vierbeinige Reptilien, die etwa wie die heutigen Igel lebten. Sie schnüffelen durch das Unterholz, fressen, was ihnen vor die spitzen Zähne kommt, und da sie zu langsam sind, um vor ihren Feinden wegzulaufen, verstecken sie sich und gehen ihnen aus dem Weg. Es ist klar, dass es für so ein Tier nützlich ist, Körperwärme erzeugen zu können: Im Unterholz ist es kühl und feucht, und das Wesen hat zu viele Feinde, um sich an offenen Stellen in der Sonne aufzuwärmen.
Wahrscheinlich verläuft die weitere Entwicklung ganz ähnlich wie bei den Vögeln: Nachdem die innere Heizung einmal erfunden ist, wird sie irgendwann auf Dauerbetrieb gestellt, und kühlere Gegenden können besiedelt werden. Auch hier gibt es das Problem, dass zu viel Wärme über Abstrahlung verloren geht, also muss eine Isolierung her. Federn wären allerdings bei der Lebensweise dieses Wesens keine gute Lösung, denn beim Stöbern in Gebüsch und Unterwuchs hätten sie sich im Gesträuch verhakt und wären schnell zerschlissen. Besser ist es da, die Reptilienschuppen in lange, dünne, glatte Hornfasern umzuwandeln – in Haare.
Und so entwickeln sich haarige, warmblütige Reptilien – noch lange keine Säugetiere, obwohl sie es eines Tages werden sollten. Vorerst aber, während der langen Herrschaft der Dinosaurier und des Aufstiegs der Vögel, überleben sie in ihrer ökologischen Nische, die offensichtlich niemand anderer will. Sie sind wenige, und sie entwickeln sich kaum weiter, aber das würde sich ändern. Ihre Zeit sollte kommen, als das Leben völlig unerwartet in die nächste große Krise stolperte.

Die achte Krise: Wieso sind die Dinosaurier plötzlich weg?

Dieses Artensterben war seltsam: Wieder gibt es keinen erkennbaren Grund dafür (ja, es könnte der Meteorit mit dem unaussprechbaren Namen gewesen sein, der den Krater in Yucatan hinterließ, aber gesichert ist das keineswegs – mehr dazu am Ende dieses Textes), und die Ökosysteme bleiben in Großen und Ganzen erhalten – im Meer die Riffe, auf dem Festland die großen gemischten Wälder aus Nadelbäumen und Blütenpflanzen. Aber ganze Tiergruppen verschwinden, und das ist das Unheimliche an dieser Krise: Gerade jene Tierklassen, die noch kurz zuvor am erfolgreichsten gewesen waren, mit vielen Arten, die sich an die unterschiedlichsten Lebensweisen angepasst hatten und die bis jetzt auf alle Umweltveränderungen geschmeidig reagiert und darauf schnell mit neuen Strategien geantwortete hatten, gerade diese verschwinden. Und sie verschwinden aus Lebensräumen, die ansonsten wenig gestört werden und in denen viele andere Arten überleben – Arten, die anscheinend genau die gleichen Bedingungen zum Überleben brauchen wie jene, die aussterben.
Im Meer erwischt es die Ammoniten und Belemniten sowie alle großen Meeresreptilien. An Land trifft es wie bekannt die Dinosaurier, daneben auch die Flugechsen. Die hatten allerdings schon seit einiger Zeit unter der Konkurrenz der Vögel zu leiden gehabt, aber warum werden die Dinosaurier vollständig ausgelöscht? Ausgerechnet die Dinosaurier ... es gibt sie in allen Größen, von taubengroß bis zu den gewaltigsten Landtieren, die die Erde je gesehen hat, unter ihnen sind Pflanzenfresser, Jäger und Aasfresser, sie leben in allen Lebensräumen – warum überlebt von ihnen nicht eine einzige Art?
Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass sie verschwanden, während andere Reptilien wie Schlangen und Krokodile überlebten, dass die Vögel wenige Verluste zu beklagen hatten und sich weiter ausbreiteten und dass ausgerechnet jene haarigen, warmblütigen Viecher, die sich bis jetzt im Unterholz der Wälder versteckt hatten, die Herrschaft über die Welt übernahmen. Inzwischen waren aus ihnen echte Säugetiere geworden, aber dazu hatten sie zwei Anläufe gebraucht.

Die Säugetiere machten auf dem Weg zu ihrer Herrschaft über die Erde (die sie bis heute innehaben) drei große Erfindungen. Die erste war jene, die ihnen den Namen gegeben hat: Bei den weiblichen Tieren entwickeln sich Drüsen, die eine Flüssigkeit produzieren, von der die Jungen sich in der ersten Zeit nach dem Schlüpfen – die ersten Säugetiere legen noch Eier – ernähren können. Das ist ein netter, Energie sparender Bonus, obwohl die Produktion von Milch natürlich erst einmal Energie erfordert. Bis jetzt hatten Wesen, die ihre Jungen fütterten, dieses Futter suchen und dann zum Nest tragen müssen. Das war mit einer Menge energieaufwändigem Hin- und Hergelaufe verbunden, umso mehr, als die Jungen oft ein ganz besonderes Babyfutter brauchten. Eine Milch produzierende Mutter dagegen kann ganz einfach ihr übliches Futter suchen und fressen, plus etwas mehr für die Milcherzeugung. Wenn sie dann in größeren Abständen zu den Jungen kommt und sie säugt, gibt sie ihnen eine energiereiche, genau auf sie abgestellte Milch, die zudem noch die Erstausstattung für das sich aufbauende Immunsystem enthält. Säugetierjunge entwickeln sich daher sehr schnell.
Die zweite große Erfindung hatte noch direkter mit der Fortpflanzung zu tun. Wie gesagt, die ersten Säugetiere hatten noch Eier gelegt, aber die Sache mit der Milch eröffnete ihnen ganz neue Möglichkeiten. Jetzt konnte das Junge schon im Mutterleib aus dem Ei schlüpfen und in einem ganz unfertigen Zustand geboren werden. Wenn es sich dann an die Milchquelle ankoppelt, kann es sich stetig saugend in aller Ruhe fertig entwickeln. Natürlich hängt es dabei außen am Körper der Mutter, und das ist gefährlich ... also schlägt das Bauchfell der Mutter um das Junge eine Falte, in der es warm und geborgen sitzt ... und wenn diese Falte, etwas umgestaltet, zu einer Dauereinrichtung wird ... dann hat man einen Beutel. Die Beuteltiere waren entstanden.
Ihre Lösung war gut, aber es gab noch eine bessere. Die Säugetiere probierten noch einen zweiten Ansatz zur Lösung des Problems ‘Was mache ich, wenn ich keine Eier legen will?', und es wurde ein Riesenerfolg. Dabei stand an seinem Anfang ein böser Unfall.
Schon bei manchen Reptilien waren die Eier nicht gelegt, sondern im Mutterleib zurückgehalten worden, und die Jungen hatten sich dort entwickelt – allerdings immer noch in den Eiern. Sie schlüpften dann während oder direkt nach der Geburt. Offensichtlich hatten es einige Säugetieren ihnen gleich getan – eine sinnvolle Entscheidung für ein Wesen mit einer inneren Heizung, die die Jungen im Mutterleib regelrecht ausbrütet.
Dann aber geschieht mal wieder ein Unfall: Im Leib einer Mutter verklebt die Eihaut, in die das Junge gehüllt ist, mit der Wandung der Körperhöhle, in der die Eier sich entwickeln. Und schlimmer noch, es entsteht eine Verbindung zwischen dem Blutkreislauf des Jungen und der Mutter. Das sah wie das Todesurteil für beide aus, aber bei der Geburt trennt sich diese Verbindung sauber, die Blutgefäße verschließen sich, so dass keiner von beiden verblutet, und ein voll entwickeltes, gesundes Junges wird geboren.
Damit hatten die Säugetiere ihr Erfolgsrezept entdeckte: Anstatt in nahrhaften, bei Fressfeinden begehrten Eier oder gefährdet außerhalb des Mutterleibs entwickeln sich die Jungen jetzt gut geschützt und über den gemeinsamen Blutkreislauf perfekt mit Nährstoffen versorgt innen im Körper der Mutter. Die modernen Plazenta-(Gebärmutter-)Tiere waren entstanden. Aber noch immer entwickeln wir uns in Eiern: in der Fruchtblase, aus der wir erst unmittelbar vor der Geburt schlüpfen.
Die Säugetiere machten aber noch eine dritte Erfindung, und vielleicht war es die wichtigste von allen. Sie hatte überhaupt nichts mit Säugen oder Gebären zu tun – Säugetiere haben verschiedenartige Zähne.
Das klingt jetzt erst einmal nicht wie eine besondere Sache, aber genau das war es. Bis dahin hatten alle Tiere mit Zähnen – Fische, Amphibien und Reptilien einschließlich der Dinosaurier – fast immer nur gleichartige Zähne gehabt. Sie konnten sich in der Größe unterscheiden, aber nicht in der Form – und damit auch nicht in der Funktion. Es gab und gibt nur ganz wenige Ausnahmen, so zum Beispiel die hohlen und klappbaren Giftzähne mancher Schlangen.
Bei Säugetieren sieht das ganz anders aus, und da Sie, geehrter Leser, ein Säugetier mit Allesfresser-Gebiss sind, können Sie das ganz einfach nachvollziehen. Betrachten Sie Ihre Zähne: Fangen Sie in der Mitte an, egal ob im Ober- oder Unterkiefer. Sie finden (pro Kieferhälfte): zuerst zwei meißelförmige Schneidezähne, dann einen spitzen Eckzahn, darauf folgen zwei kleine, zweispitzige Vorbackenzähne und schließlich zwei (mit Weißheitszahn drei) große, vielhöckerige Backenzähne. Das ist, da der Mensch nicht auf eine bestimmte Nahrung spezialisiert ist, so ziemlich die Standardformel.
Dieses Standardgebiss kann man jetzt ohne größere Mühe umbauen. Mit kleinen, nur für das Knabbern an Knochen geeigneten Schneidezähnen, langen, spitzen Eckzähnen für den tödlichen Biss, scharfen Reißzähnen zum Zerkleinern von Fleisch und ordentlichen Backenzähnen wird daraus das ideale Gebiss für ein Raubtier. Die Reduzierung auf stabile Schneidezähne zum Abbeißen und große Backenzähne dagegen erlaubt es Pflanzenfressern, ihre Nahrung perfekt zu zerkleinern – und das ist auch der Grund für alle diese Umbauten. Sie sollen es der jeweiligen Tierart gestatten, ihre Nahrung optimal vorzubereiten, so dass bei der Verdauung tatsächlich alle Nährstoffe daraus genutzt werden können. Für ein warmblütiges, aktives Tier ist das lebenswichtig, denn es existiert immer am Rande des Energiemangels.
Die Spezialisierung kann zu sehr exotischen Gebissformen führen – man denke nur an Elefanten mit ihren zu Stoßzähnen umgebauten Schneidezähnen und daneben nur noch einem Backenzahn pro Kieferhälfte. Neben der Fähigkeit zur Spezialisierung hat aber das Säugetiergebiss eine Eigenschaft, die sich in der Evolution als weiterer großer Vorteil erwies: Es ist sehr leicht wieder rückbaubar. Wenn sich eine Tierart auf eine bestimmte Lebensweise eingestellt und ihr Gebiss entsprechend abgewandelt hat, sind die ‘überflüssigen' Zahnarten immer noch vorhanden, wenn auch klein und rückgebildet. Sollten sich die Umweltverhältnisse ändern, könnten sie bei seinen Nachkommen wieder reaktiviert werden; das Gebiss lässt sich also jederzeit flexibel anpassen und umbauen. Die Vögel haben mit dem Prinzip ‘Schnabel' übrigens das gleiche erreicht: Auch Hornschnäbel sind an jede Nahrung anpassbar und im Zweifelsfall wieder umbaubar.

Und so wurden die Säugetiere nach dem Verschwinden der Dinosaurier die Herren der Welt. Sie besiedeln alle Kontinente, wobei sich die Tiere mit Gebärmutter im internen Wettstreit klar gegen die Beuteltiere durchsetzen, wagen sich in die Meere und lernen als vierte Tiergruppe nach Insekten, Flugsauriern und Vögeln sogar das Fliegen. Manche Arten werden riesig, wenn auch nie so groß wie die größten Dinosaurier – Warmblütigkeit setzt eine natürliche Grenze für die Körpermasse von Landtieren, sonst kommt es zu Überhitzung. Nur die Wale, im Meer wassergekühlt, konnten diese Grenze überschreiten.
Säugetiere erkunden die unterschiedlichsten Lebensräume und setzen sich dort fest, überstehen die großen Eiszeiten, die das Klima der letzten zweieinhalb Millionen Jahre prägten, wie sie davor auch schon mit der letzten großen Umwälzung in der Pflanzenwelt fertig geworden waren: Die Pflanzen erfanden das Gras.

Pflanzen hatten sich schon seit längerer Zeit damit abgefunden, dass Tiere ihre Blätter fraßen. Blätter sind nicht besonders energieaufwändig in der Herstellung, also kann man sie einfach nachwachsen lassen. Gefährlicher wird es, wenn die Pflanzenfresser auch die Knospen fressen, aus denen die neuen Blätter austreiben, und ganz übel wird es für die Pflanze, wenn sie vollständig mit Stumpf und Stiel abgefressen wird. Geschieht das mehrfach, geht sie ein.
Schon lange hatten sich Pflanzen dagegen gewehert, mit Dornen, eklig schmeckendem Harz oder giftigem Saft, aber alle diese Taktiken verbrauchen Energie und sind nicht besonders wirksam. Das Gras geht die Sache anders an. Der Kern des Problems, das ergibt seine Analyse, ist, dass die Knospen leicht erreichbar an den Zweigspitzen stehen. Die Gräser beschließen daher, es anders zu machen: Sie verlegen ihre einzige Knospe nach ganz unten, an das untere Ende des Halms. Die Blätter darüber werden zum Abfressen freigegeben und einfach immer wieder nachproduziert. Und das erweist sich als ein überragendes Erfolgskonzept.
Nachdem die Gräser vor etwa 25 Millionen Jahren diese Erfindung gemacht hatten, breiteten sie sich rasch über alle Kontinente aus und drängten bald auch die Wälder zurück. Grasland ist bis heute die natürliche Vegetation der weiten, eher trockenen Ebenen im Inneren der Kontinente – Steppen in Eurasien von Osteuropa bis zur Mongolei, Savannen im Osten Afrikas, die Prärie in Nord- und die Pampa in Südamerika. Sie ernähren endlose Herden Gras fressender Säugetiere, aber das ist nicht alles: Hochwachsender Bambus, auch ein Gras, bildet Wälder in Asien, und die drei Gräser Reis, Mais und Weizen ernähren eine Milliarden zählende Population jenes aufrecht gehenden Säugetiers mit den geschickten Händen und dem unvergleichlichen Verstand. Jene Wesen halten sich im Moment für die Herren der Welt, und sie haben tatsächlich guten Grund dazu ... jedenfalls bis zur nächsten Krise.

Die neunte Krise kommt bestimmt.

Wie wird sie aussehen? Wann wird sie kommen? Wird sie das Ende der Säugetiere bedeuten, und was kommt danach? Wir wissen es nicht. Vielleicht werden wir es auch nie herausfinden – es ist schließlich nicht sicher, dass die Menschheit überhaupt so lange durchhält. Möglicherweise verschwindet diese Art, wie so viele in der Geschichte der Erde, irgendwann zwischen einer Krise und der nächsten. Wir sind nicht so wichtig, dass man extra für uns einen kleineren Weltuntergang abhalten müsste.

Und das bringt uns zu der letzten Überlegung dieser Chronik der Krisen: Was waren diese Krisen überhaupt? Gewaltige Umwälzungen, Tod und Untergang oder nur Zeiten eines schnellen Wandels?

Krisen, Katastrophen, Artensterben?

Zu diesem komplexen Thema nur drei Anmerkungen.

Zum einen: In der populärwissenschaftlichen Literatur und den entsprechenden Fernseh-Dokumentationen wird es oft so dargestellt, als wenn die Zeiten der Krise eine Zeit des Sterbens waren. Hier sterben Arten aus, indem jedes einzelne Mitglied davon tot umfällt, wo es gerade steht und geht (oder wurzelt und wächst), und zurück bleibt die Erde, wüst und leer, bis aus irgendwelchen Nischen die glücklichen Überlebenden hervorkriechen und Land und Meer neu bevölkern. Das lässt sich zwar wunderbar dramatisch computeranimieren und an die Zuschauer der entsprechenden US-amerikanischen Doku-Sender verkaufen, aber war es wirklich so?
Starben die Arten nicht eher aus, weil sich ihre Lebensbedingungen änderten, und zwar sehr schnell änderten, so dass sie sich nicht anpassen konnten und ihre Population schrumpfte, Generation für Generation, bis schließlich keiner mehr übrig war? Oder weil sie von besser angepassten Lebewesen anderer Art verdrängt wurden, die die gleichen Resourcen viel effektiver nutzen konnten? Oder weil nach einer Kollision von Kontinenten Beutegreifer herüberströmten, denen sie nichts entgegenzusetzen hatten?
Und wenn sich die Verhältnisse, etwa die globale Temperatur oder die Chemie des Meerwassers, weltweit und sehr rasch änderten, dann traf es viele Arten in kurzer Zeit – eine Zeit rapiden Wandels, eine Krise, aber keine Katastrophe.

Zum zweiten: Katastrophentheorien sind so beliebt, weil sie so beruhigend sind. Beruhigend? Ja, denn dahinter steht die Vorstellung, dass alles gleichmäßig, friedlich und in geordneten Bahnen ablaufen würde, wenn denn nicht diese verflixte Katastrophe dazwischen gekommen wäre.
Auf die Erdgeschichte bezogen hieße dies: Das Leben entwickelt sich langsam und stetig zu höheren Formen, die einander ruhig und geordnet ablösen, und Klima und Lebensbedingungen schwanken zwar, aber in langsamen, weichen Zyklen. Nur diese unkontrollierbaren Meteoriten fallen dann und wann von außen in das System, bringen Not und Tod und hinterlassen eine fürchterliche Unordnung, so dass das Leben erst nach Großreinemachen und Wiederaufbau zu seinem normalen, stabilen Zustand zurückfindet.
Aber so ist es nicht. Wir wissen inzwischen, dass das System 'Erde' überhaupt nicht stabil und schon gar nicht statisch ist, dass alles sich ständig und meist abrupt verändert – Kontinente flitzen über die Erdoberfläche, kollidieren, türmen gewaltige Gebirge auf und reißen wieder auseinander, Meeresboden hebt sich, Gebiete vereisen und tauen wieder auf, und damit ändern sich auch die globale Temperatur, die Meeresströmungen und die Höhe des Meeresspiegels. All das geschieht in sehr kurzer Zeit – eine Eiszeit etwa entwickelt sich von 'warm' zu 'völlig vereist' in weniger als tausend Jahren. Mehr noch, das System kann jederzeit aus sich heraus in einen neuen Zustand umkippen, der die Verhältnisse auf der ganzen Erde tiefgreifend verändert. Das ist der Normalfall. Krisen sind der Normalfall – und auch die alles Leben beeinflussenden großen globalen Krisen sind normal. Wir sollten endlich versuchen, sie aus dem System ‘Erde' heraus zu verstehen.

Und schließlich: Aber gibt es sie nicht doch, die von außen ausgelösten Katastrophen? War es denn nicht dieser Meteoriteneinschlag, der die Dinosaurier ausgelöscht hat?
Möglicherweise. Aber sicher ist es nicht. Nein, wir wissen nicht, was die Ursache für das Aussterben der Dinosaurier war. Und das ist jetzt nicht das hilflose Achselzucken unfähiger Forscher, sondern eine klare wissenschaftliche Aussage. Sie bedeutet: ‘Nach genauer Prüfung aller uns zur Verfügung stehenden Daten gibt es zwar einige Hypothesen, für die gute Gründe sprechen, aber zu jeder davon gibt es auch gute Einwände. Wir können es also noch nicht entscheiden.'
Vielleicht war es wirklich der Meteorit. Das ist zumindest wahrscheinlicher als ein mutierter Killervirus oder außerirdische Jagdgesellschaften. Aber es ist unwissenschaftlich, es als ‘die Lösung' hinzustellen – und in einem so komplexen System wie dem Leben auf der Erde gilt sowieso: Einfache Lösungen sind falsch.

© P. Warmann