Wie hören wir eigentlich? Hm, mal sehen: Da ist das Trommelfell,
das in Schwingungen gerät, wenn es von Schallwellen getroffen wird,
und aus diesen Schwingungen werden irgendwie elektrische Signale, die
dann vom Hörnerv ins Gehirn geleitet werden. Wird wohl ähnlich
sein wie bei einem Mikrofon, denkt sich der eher technisch interessierte
Mensch, wo eine Metall-Membran schwingt, was auf elektronischem Wege zu
einer modulierten Wechselspannung führt. Nein, im Ohr fängt
die Sache zwar ganz ähnlich an, geht dann aber völlig anders
und sehr viel interessanter weiter.
Tatsächlich schwingt das Trommelfell, ein dünnes Häutchen,
das über das innere Ende des Gehörgangs gespannt ist, genau
wie eine Mikrofon-Membran. Auch im nächsten Schritt geschieht noch
nichts wirklich Spannendes: Diese Schwingung wird über drei winzige
Knochen weitergeleitet, die lose miteinander verbunden sind. Sie heißen
Hammer, Amboss und Steigbügel, weil sie mit etwas Fantasie so ähnlich
aussehen. Hier findet mechanisch über die Hebelgesetze eine Amplituden-Anpassung
statt, sonst nichts.
Der Hammer klebt am Trommelfell, er bewegt den Amboss und der den Steigbügel.
Der Steigbügel ist an einer weiteren Membran festgetackert und versetzt
diese in Schwingungen. Sie heißt Ovales Fenster, wahrscheinlich,
weil sie für die ersten Anatomen, die ein menschliches Ohr auseinandernahmen,
so aussah.
Bis hierhin langweilig eine Membran, drei Knöchelchen, noch
ne Membran ... aber jetzt wird es interessant. Das Ovale Fenster
verschließt einen langen, dünnen, mit Wasser gefüllten
Schlauch. Da der gestreckt ungefähr halb durch den Kopf reichen würde
und das nicht geht, weil er da dem Gehirn in die Quere käme, ist
er mäanderartig doppelt aufgerollt und heißt deshalb Schnecke.
Während ich das alles erkläre, schwingt die ganze Zeit Ihr Trommelfell
und die Schwingung wird auf das Ovale Fenster übertragen. Die Schwingung
dieser Membran nun erzeugt in der Wasserfüllung der Schnecke stehende
Wellen, das sind sehr scharfe, schmale Zonen erhöhten Wasserdrucks.
Der Ort, wo sich eine solche stehende Welle aufbaut, ist abhängig
von der Frequenz des empfangenen Tones.
Die Schnecke ist extrem sinnreich aufgebaut, damit diese Wellen äußerst
fein fokussiert werden können. Der Schlauch ist nämlich ziemlich
lang, verengt sich erst und erweitert sich dann wieder, was nicht linear
geschieht, und auch der Querschnitt ist nicht rund oder einfach-oval.
Die ganze komplexe Konstruktion hat nur das eine Ziel, die stehenden Wellen
verschiedener Töne möglichst sauber zu trennen.
Innen ist der Schlauch flächendeckend mit einer Schicht ausgekleidet,
die wiederum mit einer Art Rasen aus Sinneshaaren bewachsen ist. Diese
Härchen werden durch den Druck der stehenden Wellen umgebogen. Durch
die Auslenkung der Haare entstehen Nervensignale, und die wiederum werden
vom Hörnerv abgenommen.
Das Signal enthält dabei zwei Informationen: wo wurden Härchen
ausgelenkt, und wie stark. Das Wo gibt die Frequenz des Tones an,
also seine Tonhöhe, die Stärke der Auslenkung entspricht der
Lautstärke. Extrem laute Töne können die Härchen so
weit umbiegen, dass sie brechen. Im Gegensatz zu einem Rasen wachsen sie
nicht wieder nach, und deswegen macht starker Lärm taub.
Nun empfängt ein Ohr im wirklichen Leben in der Regel keine Einzeltöne,
sondern zur gleichen Zeit ein Gemenge aus verschiedenen Geräuschen,
Tönen und Klängen. Die werden im Innenohr fein säuberlich
zu stehende Wellen an vielen Orten der Schnecke, die dann auch als getrennte
Signale an das Gehirn, Abteilung Hören, weitergeleitet
werden. Daher nehmen wir nicht, wie ein Mikrofon, die resultierende Schwebung
wahr, sondern tatsächlich gleichzeitige Einzeltöne.
Bei der Signalverarbeitung im Gehirn werden dann aus den Signalen der
beiden Ohren noch Informationen über die Richtung des eintreffenden
Schalls gewonnen, die Signale werden analysiert und gedeutet, und das
Ganze geschieht natürlich in Echtzeit. So hören wir gleichzeitig,
dass das Radio links hinter uns gerade Freude, schöner Götterfunke
spielt, während uns jemand erklärt, wie die neue Waschmaschine
funktioniert, unten die Autos vorbeifahren und im Bad der Wasserhahn tropft.
Versuchen Sie das mal einem Rechner beizubringen...
© P. Warmann