Ich hatte im letzten Herbst Quittengelee gekocht, aus dem, was die Leute
gemeinhin 'Zierquitten' nennen, wenn die quittegelb in irgendwelchen kniehohen
Hecken hängen, die irgendwelche Rasenflächen abgrenzen. Sind aber
vollwertige Einkochquitten, nur sollte man sie nicht an vielbefahrenen Straßen
pflücken. Diese hier stammten aber von einer Hecke, die einen Hochhausrasen
umgrenzt, in einer abgasarmen Gegend. Sonst interessierte sich für die
offensichtlich keiner, irgendwann fallen sie vom Strauch und vergammeln, also
habe ich mir eine Tüte voll gepflückt, zum Probeeinkochen. Das trug
mir böse Blicke des Hausmeisters ein, gesagt hat er aber nichts. Er misstraut
mir sowieso, weil ich auch die Schopftintlinge von seinem Rasen ernte.
[Kulinarische Abschweifung: Schopftintlinge sind Pilze, die man oft auf Rasenflächen
und Brachland sieht und die besser schmecken als der beste Champignon. Sie
sind weiß, schlank, mit walzenformigem, schuppigen Hut, und zerfließen
im Alter zu Tinte. Sofort nach dem pflücken zubereiten, sie vertintisieren
sich auch, wenn man versucht, sie aufzubewahren. Achtung: Bevor Sie irgendeinen
Pilz pflücken, machen Sie sich unbedingt in einem guten Pilzbuch kundig.
Schopftintlinge sind zwar unverwechselbar, wenn man sie kennt, aber es gibt
andere Tintlinge, die ganz und gar nicht harmlos sind. Schopftintlinge
schmecken am besten mit wenig Öl und gut Pfeffer in der Pfanne geschmort.]
Zurück zum Quittengelee. Das hatte ich aus den Heckenquitten gekocht,
und es war wirklich gut. Drei Gläser voll ergab die Probeernte, eines
habe ich gleich verbraucht, die anderen beiden kamen in den kühlen Keller.
Und da blieben sie, bis mir diesen Monat wieder nach Frühstücksmarmelade
war.
[Kulinarische Abschweifung: Traditionelle Marmeladenbrote mit Butter unter
der Marmelade sind im Sinne guter Ernährung ja ein absolutes Anti-Essen.
Wer mal etwas gesünderes ausprobieren möchte, mischt seine Lieblingsmarmelade
eins zu eins mit Magerquark und streicht das (natürlich ohne Butter)
aufs Brötchen. Gerade im Sommer sehr lecker. Achtung: immer frisch mischen!]
Also hole ich das Quittengelee aus dem Keller. Hm. Sieht seltsam aus. Nein,
verdorben ist es nicht ... nur seltsam. Im Glas steht das Gelee. Ja, es steht:
rundum etwa einen Zentimeter von der Glaswand entfernt, sozusagen turmartig.
Ich schüttle das Glas das Gelee zittert und schwankt, aber es
steht. Hm. Kann man das essen? Und wenn ja, wie?
Ich nehme das Zellophan ab, mit dem ich das Glas verschlossen hatte, und rieche
vorsichtig am Inhalt. Es riecht nach Quittengelee, sehr stark, frisch und
fruchtig und keinesfalls verdorben. Sieht auch gut aus, nur war es vorher
apfelsaftfarben und ist jetzt eher tannenhonigdunkel. Und kleiner. Offensichtlich
ein Fall von Gelschrumpfung.
[Kulinarische Abschweifung: Dass Gele beim austrocknen schrumpfen und unter
Wassereinfluss wieder quellen, macht man sich vielfach zunutze, von Tortenguss
bis zu diesen Dekokugeln, mit denen man Vasen und so weiter füllt. Früher
war es auch ein großer Spaß auf Kindergeburtstagen, ein Gummibärchen
in ein Glas Saft zu werfen, nach einer Stunde oder so hatte man dann ein Riesenbärchen.
Funktioniert das immer noch? Ausprobieren!]
Aber es bleibt die Frage: Wie bekomme ich mein Quittenschrumpfgelee jetzt
auf's Brötchen? Rauslöffeln? Ich greife mit dem Löffel an
es zittert, es wankt, aber es gibt nicht nach. Nicht hart, elastisch, aber
fest, und mit dem Löffel unangreifbar. Da werde ich mir wohl eine Scheibe
von abschneiden müssen. Und dazu muss es aus dem Glass.
Ich versuche es rauszuschütteln. Das Gelee klammert sich fest. Stärker
schütteln und Flupp! glibscht es aus dem Glas Padoingg!
landet es auf dem Frühstücksbrettchen Dadong! hüpft
es noch einmal hoch, landet, federt nach, rollt aus. Da liegt es nun. Ich
traue mich und drücke es mit dem Finger. Tja, nicht ganz so fest wie
ein Gummibärchen, aber deutlich zäher als, sagen wir, eine Geleebanane.
Scheiben abschneiden mit einem scharfen Messer geht aber. Fein, nur wie kombiniere
ich die mit dem Quark? Verrühren unmöglich, also wird das Hartgelee
in ganz feine Würfelchen gehackt und über den Quark gestreut. Mhm,
sehr lecker.
[Und noch eine kulinarische Abschweifung, das Thema 'Kindergeburtstag' hat
mich darauf gebracht: Kennen Sie diese dänischen Lakritzschnüre,
die Sorte, die innen makkaroniartig hohl ist? Durch die kann man strohhalmgleich
Saft trinken, oder auch Früchtetee. Gibt dem Getrunkenen eine sanfte
Lakritznote und dem innen angeweichten Snør einen feinen Fruchtgeschmack.]
Diese Welt ist langweilig genug lassen wir uns wenigstens auf ein paar
kulinarische Abenteuer ein!
© P. Warmann