Klangbilder.

Es ist Sommer, es ist heiß, man lebt bei offenen Fenstern. Das heißt, man hört; manchmal ganze Klangbilder.

Zum Beispiel dies: Mitten in der Nacht erwache ich aus leichtem Schlaf, als drei Stockwerke unter mir ein Auto auf den Hof fährt. Motor wird abgestellt - Autotür - Klirr! (sehr laut) - das war eine Flasche - „Scheiße!” (sehr leise) - Scherbenklimpern - Schritte, Mülleimerdeckel - was ist das? ach so, er fegt - Schritte - Haustür - wieder Stille.
Oder, einige Nächte später: Stimmen holen mich aus dem Schlaf - anscheinend streiten zwei, männlich und weiblich, auf der Straße direkt vor der Tordurchfahrt - zu verstehen ist nichts, zu hören ist hauptsächlich sie, anklagend-erbost - Klatsch! „Aua!” (weiblich) - da hat er ihr wohl eine gescheuert - „Hmpf-urgs” (männlich) - das war eindeutig ein Schlag in den Magen - tja, so etwas sollte man mit einer Frau heutzutage eben nicht mehr machen...
Oder, am hellichten Tag von der Straße her, ein ‘Klirr-Schepper!’, teils Glas, teils Blech, sehr laut. Das ist ein komplexer Klang, den ich so nicht entschlüsseln kann, da muss ich nachsehen. Aha: Ein junger männlicher Mensch hat sich mit seinem Motorroller langgelegt. Zum Glück sind weder er noch der Roller ernstlich beschädigt; ein nicht angeschnallter Kasten Bier allerdings, der sich auf dem Rücksitz befand, hat einen Handstand-Überschlag versucht, aber nur halb hinbekommen. Der junge Mensch untersucht den Scherbenhaufen nach heilen Flaschen, findet keine, lässt ihn und auch den Kasten zurück und geht, rollerschiebend.

Der Sommer bringt natürlich auch die üblichen Draußen-Feste mit Musikuntermalung. Recht häufig gibt es dabei HipHop mit einem Live-Haspler. Damit ist jemand gemeint, der gerne ein Rapper wäre, seinen Wortbeitrag aber ohne Punkt und Komma und ohne jegliche Dynamik, genau, herunterhaspelt.

Wesentlich unterhaltsamer war da die große Techno-Rave, die hier durch die Straßen zog. Obwohl ich etwas enttäuscht war: Ich bin der Meinung, auch Techno sollte ungefähr so alle 16 Takte mal eine neue Idee enthalten.
Überhaupt hätte man nach mehreren Stunden Dauerbeschallung zu dem Schluss kommen können, es gäbe nur drei Techno-Stücke:
- ein wuchtiger 4/4-Stampfbeat wird von einem ebenfalls 4/4 gespielten Einzelton in mittlerer Lage ergänzt, wobei dies mit einem 08/15-Filtersweep moduliert wird; dazu kommt ein Sample einer männlichen Stimme, die auf Amerikanisch einen belanglosen Kurzsatz bölkt;
- besagter 4/4-Stampfbeat wird mit einem in hektischen Sechzehnteln dahintackernden Becken ergänzt, darüber spielt eine Art Autoalarmanlage, wahlweise ersetzt durch eine lispelnd dahinfiepende Frauenstimme;
- eine höchst belanglose Simpel-Popschnulze wird völlig unmotiviert mit besagtem Stampfbeat unterlegt.
Leider wurde die Musik auch in unvorhersehbaren, aber viel zu kurzen Abständen durch Menschen unterbrochen, die in den Wagen mitfuhren, Zugang zur Verstärkeranlage hatten und ihren Wortmüll über das Ganze ausschütteten; ich würde sie als entlaufene Campingplatz-Animateure einordnen – DJs jedenfalls können es nicht gewesen sein, denn diese sollten doch zumindest rudimentäre Kenntnisse im Umgang mit Mischpulten haben und somit wissen, wie man verhindert, dass die eigene Stimme komplett übersteuert.

Es wird sicher noch ein langer, klangvoller Sommer.

© P. Warmann